Das Evangelische Wort

Sonntag, 13. 07. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Ingrid Bachler

(Wels, OÖ)

 

 

„Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn!“

 

Eine Oper, die ich gerne beim Autofahren höre, ist die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart. Besonders berührt mich die Bildnisarie: Tamino hält ein Bild von Pamina, der gefangenen Tochter der Königin der Nacht zum ersten Mal in seinen Händen und verliebt sich augenblicklich in sie. Er kann sein Gefühl nicht benennen, aber es brennt wie ein Feuer in ihm. Die Liebe entfacht seine Sehnsucht, dieses Geschöpf zu umarmen. Tamino ist kein mutiger Mensch, er wird eher schwach und ängstlich vorgestellt. Sein Mangel an Tapferkeit hindert die Königin aber nicht, ihn auszuwählen, ihr die geraubte Tochter zurückzubringen. In den zärtlichsten Worten beschreibt er seine plötzlich entfachten Gefühle für das Antlitz auf dem Bild. Sie erinnern mich an das „Hohe Lied der Liebe“ aus dem Ersten Testament. Der Geliebte sieht seine Freundin mit besonderen Augen: Ihre Augen sind wie Taubenaugen, ihre Schläfen sind wie eine Scheibe vom Granatapfel. Das ist der Blick der Liebe. Die rosarote Brille. Die Geliebte ist schöner als alle anderen. Sie ist die Lilie unter den Dornen. Die Liebenden finden alles aneinander schön. Wirklich, sie finden es, denn die Liebe sucht unbeirrt so lange, bis sie die Schönheit, den Reichtum, das Besondere beim anderen gefunden hat.

 

Das ist der erste Blick der Liebe, er ist uns geschenkt. Sie überfällt uns und wir können uns nicht dagegen wehren. Brautpaare erzählen mir beim Traugespräch, wie sie diesen Moment der Liebe erlebt haben: Das erste Kennenlernen in einem bestimmten Lokal. Die erste Einladung auf einen Kaffee. Der Faschingsdienstag, an dem sie als Prinzessin verkleidet ging und er nicht mehr wegschauen konnte. Die Geburtstagseinladung bei einer Freundin und er war einer der Gäste. Die Singwoche, bei der sie zur Kinderbetreuung mit war. Sie erzählen auch, wie sich dieser erste Blick der Liebe mit der Zeit zu vertiefen und zu verwandeln begann in einen zweiten Blick.

 

Der zweite Blick der Liebe ist schon mehr Arbeit. Wir sind nicht mehr die spontan Überfallenen, die sich nicht dagegen wehren können, sondern werden selbst aktiv. Wir lernen, wie der andere in manchen Situationen reagiert, es gibt unterschiedliche Meinungen, wir sammeln Erfahrungen mit Konflikten umzugehen, Systeme für Lösungen zu entwickeln, bemerken, dass Liebe auch abhängig macht vom anderen, von seinem Trost, seiner Vergebung, seinen Augen, die einen immer wieder schön finden. Lieben bedeutet auch in bestimmter Weise auf sich selber zu verzichten. Nicht im Sinne der Selbstaufopferung, dass der eine sich dem anderen unterwirft, sondern ganz grundsätzlich, dass ich darauf verzichte, mir selbst genug zu sein. Je mehr wir wissen, dass wir aufeinander angewiesen sind, umso menschlicher und erträglicher werden wir. Bis Tamino seine geliebte Pamina umarmen kann, muss er trotz großer Furcht noch einige Abenteuer bestehen. Damit sich erfüllt, was er sich in der Bildnisarie so wünscht, dass sie ewig sein wäre.

 

Trotz hoher Scheidungsstatistiken bleibt die Liebe der hartnäckige Traum vom Glück und Menschen lernen Beziehungsfähigkeit im Miteinander. Einen Menschen lieben, heißt ihn so zu sehen, wie Gott ihn gemeint hat.