Das Evangelische Wort

Sonntag, 17. 08. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Gisela Ebmer, Fachinspektorin für den Evangelischen Religionsunterricht an höheren Schulen in Wien

 

  

WISST IHR NICHT, DASS EUER LEIB EIN TEMPEL DES HEILIGEN GEISTES IST, DEN IHR VON GOTT HABT? (1. Kor. 6, 19)

 

 

Sonntag, 6.55 Uhr. Hab' ich mich heute schon körperlich betätigt? Nein, es ist mir einfach zu früh. Ich bin noch müde, muss erst auf Touren kommen. Andererseits, wenn ich nachdenke, hab' ich heute mit meinem Körper schon sehr viel gemacht: Ich habe beim Aufwachen meine Augen geöffnet, hab' die Helligkeit gesehen, mein Schlafzimmer, meinen Mann. Ich habe gegähnt, mich gestreckt, bin aufgestanden. Ich habe beim Duschen das warme Wasser auf meiner Haut gespürt und genossen, ich habe die Zahnpasta geschmeckt und das Massieren der Zahnbürste auf dem Zahnfleisch angenehm wahrgenommen. Ich hab das Fenster aufgemacht und draußen die Vögel gehört und die vorbeifahrenden Autos. Ich habe den Kaffeeduft gerochen und tief eingeatmet. Mein Körper hat heute schon sehr viel Angenehmes getan. Meist nehmen wir das gar nicht wahr und wir spüren unseren Körper gar nicht. Nur dann, wenn uns was wehtut.

 

Diese Einstellung ist dem biblischen Denken völlig fremd. Der Körper ist in der Bibel das Mittel der Kommunikation, des Erlebens, des Jubelns und Klagens, des Zorns und des Feierns. Der Leib ist auch das Mittel der Begegnung mit Gott. Und der Zustand des Körpers gilt als Richtschnur für den Zustand des Landes: „Ich fühle mich wie hingeschüttetes Wasser, meine Knochen sind auseinandergerissen, mein Herz ist wie Wachs geworden, meine Eingeweide zerfließen, meine Kraft ist zerbrechlich wie eine Scherbe, meine Zunge klebt mir am Gaumen.“ So heißt es in Psalm 22.  Wenn's den Menschen nicht gut geht, muss dringend etwas am Zustand des Landes geändert werden. Und umgekehrt ist das Heilsein des Körpers ein Zeichen für das Anbrechen des Gottesreichs: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote werden auferweckt und den Armen wird die frohe Botschaft verkündet.

 

Erst wenn ich meinen Körper bewusst wahrnehme, bin ich fähig zu leiden und mich zu freuen. Erst dann lebe ich. Von den Götzen wird in der Bibel erzählt, dass sie einen Mund haben, aber nicht reden können. Augen, aber nicht sehen, Ohren, aber nicht hören, Hände, aber nicht greifen. Kein Laut kommt aus ihrer Kehle. Sie sind tot.

 

Wir dürfen uns freuen, dass wir an einen lebendigen Gott glauben, der uns Lebensodem eingehaucht hat, sodass wir lebende Wesen sind. Gott sieht das Elend des Volkes, Gott hört das Schreien der unterdrückten Sklaven in Ägypten, Gott füllt meinen Mund mit Lachen, er sättigt die ausgetrocknete Kehle und füllt die hungrige Seele mit Gutem. Gott rettet mit starker Hand. Gott lebt mit allen Sinnen und erweckt uns zum Leben mit allen Sinnen.

 

Wenn wir Menschen uns heute auf dieses Geschenk Gottes einlassen, dann verändert sich unsere Welt: Denn kein Körper leidet gerne im Krieg, kein Auge sieht gerne hungrige Kinder, kein Ohr will Klage und Schreien hören, keine Nase Gifte und Abgase riechen. Ein lebendes Wesen sein, heißt mich einzusetzen für das Leben, für das Leben aller Menschen. Nur - wenn ich mich selber nicht mehr spüre, spüre ich auch andere nicht. - Und freue mich auch nicht.

 

Ein lebendes Wesen sein heißt, mich freuen über all das Schöne, das um mich ist: Den Baum vor dem Fenster, die Sonnenstrahlen, den Gesang der Vögel, das Zirpen der Grillen, gute Musik, Duft von Kaffee, ein gutes Glas Wein, ein Gespräch, ein Buch, ein Film, zärtliche Blicke und Berührungen. Warmes Wasser auf der Haut spüren oder erfrischende Abkühlung im See. Der Sommer bietet mir viel an um meinen Leib als Tempel des Heiligen Geistes zu erleben und Gott zu loben und dankbar zu sein.