Das Evangelische Wort

Sonntag, 07. 09. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Brücken bauen“

von Pfarrer Mag. Werner Geißelbrecht (Lutherische Stadtkirche Wien)

 

 

Ich freu’ mich schon aufs zweisprachige Bibel Lesen. Zu Gast in unserer Lutherischen Stadtkirche in Wien sind dann wieder Freundinnen und Freunde von den Böhmischen Brüdern in Brünn. Seit vielen Jahren schon verbindet unsere beiden Gemeinden eine Partnerschaft, die uns mehrmals im Jahr zu verschiedenen Projekten zusammenführt.

 

Zustande gekommen ist der Kontakt gleich nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs. Damals, nach Jahrzehnten der Isolierung, sind in unseren Begegnungen noch zwei Welten zusammengeprallt. Für viele Tschechinnen und Tschechen waren ihre Fahrten nach Wien die ersten Besuche im Westen. Und umgekehrt. Inzwischen ist das ganz anders geworden, die Grenzen sind nicht nur offen, sondern für den Reisenden weitgehend unsichtbar geworden. Wenn mir auch scheint, in den Köpfen sind viele Barrieren sehr wohl noch vorhanden. Und Unterschiede gibt es ja nach wie vor. Darunter auch solche, die uns verbinden.

 

Vor allem sprechen wir zwei Sprachen, die vollkommen verschieden sind. Und dieser Unterschied, ja, der verbindet uns tatsächlich auf besondere Weise. Ganz deutlich wird das, wenn wir zusammen zweisprachig in der Bibel lesen und uns darüber austauschen, was der jeweilige Text für uns heute bedeutet. Satz für Satz wird bei diesen Rundgesprächen aus dem Tschechischen ins Deutsche übersetzt – und von Deutsch auf Tschechisch. So wird das gemeinsame Nachdenken über die Grundlagen und die praktische Bedeutung unseres Glaubens eigentümlich verlangsamt und dadurch, so scheint mir, intensiviert und vertieft. Spürbar wird auch, wie sehr die jeweilige Sprache unser Denken prägt und unser Verständnis der biblischen Texte.

 

Die unterschiedliche Sprache verbindet uns, die Auseinandersetzung mit dem Fremden bereichert. Wie gut, dass es diese Brücke gibt: Eine Brücke zwischen Tschechen und Österreichern. Eine Brücke zwischen Böhmischen Brüdern und Lutheranern. Eine Brücke zwischen Menschen, die einander in mancherlei recht fremd sind, die aber auch Augen haben für das Gemeinsame, das uns verbindet, die gewillt sind, Unterschiede positiv zu sehen und fruchtbar zu machen.

Brücken bauen, ich glaube das ist eine der Kern-Aufgaben christlicher Gemeinden. Brücken, die Gräben überwinden, die neue Wege erschließen aufeinander zu und Getrenntes verbinden: Menschen verschiedener Nationen und Kulturen, Weltanschauungen, Religionen und Konfessionen.

 

In der Nachfolge Jesu. Denn der war ja ein begnadeter Brücken-Bauer. So offen war er, so integrativ, so verbindend, dass viele endlich aufatmen konnten. Anderen aber war gerade das unheimlich und ein Dorn im Auge. Wie er sich mit Sündern an einen Tisch gesetzt hat. Wie er Frauen in Männer-Gespräche verwickelt hat über Gott und die Welt. Wie er Unerhörtes verlangt hat: Man soll nicht nur seine Schwestern und Brüder lieben, nicht nur die eigenen Leute, sondern auch Fremde, sogar seine Feinde.

 

„Versöhnung leben“ ist das Motto unserer Partnerschaft. Und Versöhnung, das ist auch ein Wort der Bibel. Paulus verwendet es gerne. Im 2. Korintherbrief schreibt er zum Beispiel: „Gott hat uns mit sich selber versöhnt durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt.“ [2. Kor 5,17-18]

 

Versöhnung ist etwas Himmlisches. Gott ist der große Brückenbauer, der pontifex maximus. In Jesus Christus hat er die Brücke geschlagen zu uns Menschen. Auf dieser Brücke kommt er uns entgegen. Und die Versöhnung, die von Gott kommt, soll Kreise ziehen. Der große, wunderbare Brückenschlag, der uns erreicht hat, kann auch uns Kraft schenken, Mut und kreative Ideen, selbst Brücken zu schlagen zu anderen Menschen. Brücken bauen. Gräben überwinden. Kontakte knüpfen. Neue Nachbarn entdecken, Schwestern und Brüder, Freundinnen und Freunde, wo ich sie eigentlich gar nicht erwartet hätte. Sich überraschen lassen vom Fremden. Voneinander lernen. Einander bereichern. … Dazu segne uns Gott.