Das Evangelische Wort

Sonntag, 14. 09. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Peter Pröglhöf, Fachinspektor für den evang. Religionsunterricht in Salzburg, Tirol und Vorarlberg

 

 

 

Vor wenigen Tagen bin ich von einer Studienreise zu den Wirkungsstätten Martin Luthers wiedergekommen. Wir waren in seinem Geburts- und Sterbeort Eisleben; in Mansfeld, wo er seine Kindheit verbracht hat; haben im ehemaligen Augustinerkloster in Erfurt übernachtet, in das der Jurastudent Martin Luther eingetreten war, und haben dort, in der Klosterkirche, die seit der Reformation evangelisch ist, Gottesdienst gefeiert; wir waren auf der Wartburg, wo Luther versteckt worden ist und wo er die Bibel übersetzt hat; natürlich in Wittenberg, wo er als Professor an der Universität gelehrt hat, von wo die 95 Thesen ihren Ausgang genommen haben, wo er mit seiner Frau Katharina und seinen Kindern im ehemaligen Augustinerkloster gelebt hat und wo er in der Schlosskirche begraben ist.

 

Es ist schon etwas ganz Besonderes für mich gewesen, all diese Orte, deren Namen ich natürlich kenne, einmal mit eigenen Augen zu sehen. Ich bin in der Kirche des Augustinerklosters in Erfurt gesessen, habe die Gebete der evangelischen Schwesternschaft mitgebetet, die heute dort das geistliche Leben gestaltet und habe mir vorgestellt, wie es dem jungen Mönch Martin Luther dort wohl ergangen ist. Und ich bin in der Lutherstube auf der Wartburg gestanden und habe etwas davon gespürt, wie er um die richtigen Worte in seiner Bibelübersetzung gerungen hat. Und vor den Kanzeln, auf denen er gepredigt hat, habe ich mich gefragt, welche Worte wohl heute so viel in Bewegung bringen könnten wie damals.

 

Offenbar hilft es uns, die Bedeutung von Ereignissen zu verstehen, wenn wir die Orte, an denen sie stattgefunden haben, auf uns wirken lassen. Etwas Ähnliches erleben Menschen, die nach Israel reisen, mit den Orten der Bibel. Und in der Bibel selber schon gibt es die Orte, wo Menschen besondere Erfahrungen gemacht haben und wo sie dann Orte des Gedenkens errichten. Denken wir nur an die Altäre, die Abraham und seine Nachkommen für Gott bauen. In diesen Geschichten wird nicht nur die Entstehung von Kultorten begründet, sondern da wird doch erzählt, dass es für die Menschen gut ist, Orte zu haben, wo sie an besondere Ereignisse denken können. Die Erfahrungen, die sie dort gemacht haben, werden so nochmals lebendig, sie geraten nicht in Vergessenheit und bewahren ihre Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft.

 

Mit solchen Orten des Gedenkens sind besonders unsere Gefühle verbunden. Das zeigt sich daran, wie emotional Diskussionen geführt werden, wenn es um die Errichtung von Denkmälern oder Gedenkstätten geht. Mahnmäler erinnern uns an die dunklen Seiten der Geschichte und auch an die dunklen Seiten in uns selber. Aber wir brauchen diese Erinnerungen, damit die Erfahrungen nicht in Vergessenheit geraten, vor allem aber, damit die Menschen nicht in Vergessenheit geraten, deren leidvolle Erfahrungen unsere Gegenwart und unsere Zukunft vor Wiederholungen der Irrwege bewahren sollen.

 

Auch unsere persönlichen Orte des Gedenkens sind wichtig für uns: Die Gräber unserer Lieben ebenso wie die Orte, mit denen wir besonders schöne Erinnerungen verbinden: Begegnungen mit Menschen, die für uns wichtig sind, Erlebnisse, die wir mit ihnen gemeinsam hatten, oder Orte, an denen wir in unserem Leben einen besonders wichtigen Schritt gegangen sind und etwas erfahren haben, das den Lauf unseres Lebens entscheidend geprägt hat. Ich finde es schön, an solche Orte immer wieder zurückzukehren und die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Ich kann so immer wieder den Impuls spüren, der von diesen Erfahrungen ausgeht und mich fragen, was sie für mich heute und für die Zukunft bedeuten.

 

Orte des Gedenkens: Gut, dass wir sie haben. Vielleicht lassen Sie heute einen davon, der für Sie wichtig ist, auf sich wirken.