Das Evangelische Wort

Sonntag, 28. 09. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Harald Kluge (Wien)

 

 

Haben Sie das schon gewusst? Bei uns in Österreich darf man bereits mit 14 Jahren wählen. Und das an 365 Tagen im Jahr. Anders als bei politischen Wahlen, stehen den Jugendlichen die Wahlurnen der Religionen bereits mit 14 offen. Machen sie ihr Kreuz: Buddhistisch, Katholisch, Orthodox, Evangelisch? Oder darf es eine der vielen anderen Glaubensgruppierungen sein? Einfach aufs Bezirksamt oder den Magistrat gehen, sich von seiner alten Religion abmelden und in einer der Aufnahmestellen der Kirchen und Religionen wieder anmelden. Einfacher als einen neuen Wagen registrieren zu lassen, ist das allemal. Und wechseln und wählen darf ich meine Religion beliebig oft, nicht nur alle fünf Jahre.

 

Willkommen am freien religiösen Markt - auf dem schon Jugendliche und Kinder umworben werden. Es gibt ihn unter den Religionen: Wahlkampf und Werbung um Mitglieder das ganze Jahr und das seit Jahrhunderten. Mission nennt man das. Erst letzte Woche hat es wieder an meiner Tür geläutet und freundliche Zeugen haben mir durchaus interessante und wichtige Fragen zu meinem Leben gestellt. Auf der Straße oft zu sehen sind auch die modernen, gut gekleideten und jungen Missionare der Mormonen, mit denen sich ebenfalls nette Gespräche über Gott und die Welt führen lassen. Im Vergleich dazu eher leise und vorsichtig treten auf diesem Feld hier die etablierten christlichen Kirchen auf.

 

Mit 14 darf ich mir in unserem Land meine Religion aussuchen. Wonach entscheide ich aber, zu welcher Religion, Kirche, Konfession ich gehören will?

Ich kann das glauben, was meine Eltern glauben. Ich kann die Grundsatzprogramme von Kirchen lesen, den Kirchenfürsten zuhören, was sie so zu sagen haben. Am besten ist aber noch immer – und das rate ich jeder Frau und jedem Mann, der in unsere reformierte Kirche eintreten will – am besten ist es, einige Zeit in den Mokassins derer zu gehen, die man verstehen will. Da merkt man gleich, wo die Schuhe drücken. Altes Indianersprichwort. Und lassen sie sich Zeit mit ihrer Wahl.

 

Für mich persönlich gibt es 100 gute Gründe, evangelisch-reformiert zu wählen. Es gibt für mich ebenso durchaus viele gute Gründe, katholisch oder buddhistisch zu sein. Aber bei der Wahl meiner Religion bin ich doch wählerisch geworden.

 

Nebenbei bemerkt, haben die Jünger von Jesus sich ihren Meister ebenso genau angeschaut. Sie haben nächtelang mit ihm diskutiert, um zu merken, dass er für sie der gesuchte Rabbi und Messias ist. Die ersten beiden Jünger, die Jesus nachfolgen, sind etwa auch typische Wechselwähler, von ihrem einstigen Lehrer Johannes dem Täufer abgeworben. Und dass Johannes der Täufer und Jesus geradezu als Konkurrenten um die Wette getauft haben, lesen wir im Johannesevangelium.

 

Muss ich den Glauben anderer schlecht aussehen lassen, nur um mit meinem Glauben besser dazustehen? Nein. Als Evangelischer, als Reformierter in Österreich habe ich es hier mit Toleranz relativ einfach. Ich glaube nämlich daran – und es steht in der Grundsatzerklärung meiner Kirche – dass Gott nicht nur verschiedene Wege mit Kirchen und Religionsgemeinschaften geht. Sondern es gilt: Gott geht einen Weg mit uns Christen, einen Weg mit den Juden, einen Weg mit den Muslimen, einen Weg mit jedem Menschen – auch mit dem, der an nichts glauben kann.

 

Die Wahl meiner Religion wird mein ganzes Leben verändern – tief greifend und andauernd. Diese Wahl will gut überlegt sein.