Das Evangelische Wort

Sonntag, 05. 10. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Dr. Jutta Henner (Wien)

 

 

An diesem Wochenende ist in Ramsau am Dachstein ein ganz neuartiger Themenwanderweg feierlich eröffnet worden: Der „Weg des Buches“.

 

Es handelt sich hier um ein innovatives Projekt der Evangelischen Kirche in Österreich in Partnerschaft mit zahlreichen Tourismus- und Wanderverbänden. Auf den ersten Blick handelt es sich hier um einen Weitwanderweg, der quer durch Österreich führt, von der deutschen Grenze bei Passau bis nach Agoritschach-Arnoldstein. Drei Bundesländer, Oberösterreich, die Steiermark und Kärnten durchquert dieser „Weg des Buches“.

 

Allerdings ist der „Weg des Buches“ weit mehr als ein gewöhnlicher Wanderweg. 29 Tagesetappen sind zu bewältigen, fünf davon mit dem Fahrrad, die übrigen – von unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad - als Wanderung. Die Etappen führen nicht nur durch die Schönheiten der Natur, an Flüssen und Seen entlang, durch Täler hindurch und über Bergeshöhen.

 

Der Weg des Buches ist vor allem ein überaus geschichtsträchtiger Weg. Er folgt den Spuren von Bücherschmugglern, die in der dunklen Zeit, beginnend am Ende des 16. Jahrhunderts durch zwei Jahrhunderte hindurch, heimlich und unter Einsatz ihres Lebens protestantische Literatur aus Deutschland zu den evangelischen Christen nach Österreich brachten. Unzählige Bibeln und Gesangbücher, aber auch Andachtsbücher und Predigtbände sind auf diesen Pfaden und Steigen, gut versteckt und trotzdem in Gefahr, entdeckt zu werden, ins Land gekommen. Mutige Männer und Frauen, die für ihren Glauben sehr viel aufs Spiel zu setzen bereit waren, haben so geistige und geistliche Nahrung zu den Geheimprotestanten gebracht. Sie haben erfahren, was schon der Prophet Jeremia in der Bibel selbst unter Bedrängnis ausdrückte: „Dein Wort ward meine Speise, sooft ich’s empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost...“ (Jeremia 15,16)

 

Der Weg des Buches hält die Erinnerung wach an das leidenschaftliche Bekenntnis von Christinnen und Christen vergangener Zeiten. Der Weg des Buches führt zu Spuren, Überresten und Stätten eines Glaubens, der sich auf das Wort der Bibel, seine Auslegung, Gebet und Gesang stützte, jedoch im Verborgenen bleiben musste. Ein Stück Geschichte Österreichs gibt es da zu entdecken. Es ist Geschichte – Gott sei Dank – denn inzwischen steht der Weg zur Bibel und entsprechender Literatur allen Gläubigen offen. Inzwischen herrscht Glaubens-, Religions- und Versammlungsfreiheit in unserem Land; ein kostbares Gut, das nicht hoch genug geschätzt werden kann.

 

Der Weg des Buches ist aber auch – und das nicht zuletzt - ein Pilgerweg. Pilgern, sich zu Fuß auf den Weg machen, ins Nachdenken und Meditieren kommen über das eigene Leben und seine Fragen, wird für immer mehr Menschen interessant. In diesem Sinne ist der Weg des Buches eine Einladung, sich mit der Bibel auf den Weg zu machen, ihre Botschaft unterwegs in Gottes guter Schöpfung neu oder überhaupt erst einmal zu entdecken. Es ist eine Einladung, sich auf die spannende Frage nach Sinn und Ziel des Weges einzulassen.

 

Ich freue mich über den Weg des Buches. Ich hoffe und wünsche, dass viele Menschen, Jung und Alt, wandern und pilgern - und dass sie nachhaltige Eindrücke davon mitnehmen in ihren Alltag.

 

Die Erinnerung an die Bibelschmuggler lässt mich daran denken, dass christlicher Glaube, dass die Bibel und geistliche Literatur noch längst nicht überall auf der Welt frei zugänglich sind. In vielen Ländern ist die Bibel bis heute ein verbotenes Buch: Offiziellen Statistiken zufolge sind es etwa 40. Und immer wieder neu kommen Christinnen und Christen unter Druck, sind gezwungen, ihren Glauben heimlich und im Verborgenen aber dennoch leidenschaftlich und zuversichtlich zu leben, ihr Leben und das ihrer Familien aufs Spiel zu setzen. Und doch strahlen sie Mut und Hoffnungsgewissheit aus. Männer und Frauen sind bis heute kreativ, wenn es darum geht, Mittel und Wege zu finden, um an Bibeln und Literatur zu kommen, auch um heimliche Orte für Versammlungen zu finden. Fast wie die Bibelschmugglerinnen und –schmuggler in vergangenen Jahrhunderten hier in Österreich! Sie erfahren es bis heute: „Dein Wort ward meine Speise, sooft ich’s empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost.

 

Der Weg des Buches und das Unterwegssein auf ihm mag Pilgerinnen und Pilger – und hoffentlich nicht nur sie! – auch erinnern an das Schicksal verfolgter Christen heute. Ich denke beispielsweise an Christinnen und Christen im indischen Bundesstaat Orissa, die in den letzten Wochen und Monaten Opfer einer immer aggressiveren Verfolgung werden. Bibeln und Bücher, Kirchen und diakonische Einrichtungen wurden in Brand gesteckt. Hunderte Menschen haben um ihres Glaubens willen ihr Leben gelassen.

 

So viele Menschen sind überall auf der Erde auf der Flucht, weil sie wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Immer wieder suchen Christen auf der Flucht vor Bedrängnis und Verfolgung in Österreich Zuflucht. Ich träume davon, dass die Erinnerung an die Bücherschmuggler von einst Menschen hier im Land den Blick und auch das Herz öffnet für Flüchtlinge von heute.