Das Evangelische Wort

Sonntag, 02. 11. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Tod, Zeit und Ewigkeit“

von Pfarrerin Gabriele Lang-Czedik

 

 

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginn…“, so schreibt Hermann Hesse 1941 in seinem Gedicht „Stufen“, das mich schon lang bewegt und das ich liebe.

 

„.. bereit zum Abschied sein…“, dazu fordert uns der November besonders heraus: Abschied von der warmen Jahreszeit, von Sommer und Licht. Blüten, Blätter und Früchte fallen und wir müssen wieder hinein in die dunklere, kältere Zeit.

 

Zugleich ist jetzt die Zeit der Grab-Besuche und der Erinnerungen an die großen Abschiede unseres Lebens. Da kann es sein, dass uns das Herz schwer wird vor den Gräbern unserer Lieben und dass es uns festhalten und niederdrücken will in der Trauer. Bindungen an die Menschen und Zeiten von früher umstricken uns da und lassen uns mitunter die Vergangenheit wirklicher erscheinen als die Gegenwart. Dann wird uns das jetzige Leben mühsam und schmerzlich wie eine Existenz im Exil. Manche meinen auch, sie müssten es so erleiden aus Treue zu ihren verstorbenen Lieben.

 

Und doch: Warum sollte denen, die nicht mehr hier sind, gedient sein mit unserer Schwere? - Wo sie doch schon aufgebrochen sind in lichtere und weitere Räume? Und davon bin ich überzeugt… dass sie schon größeren Raum um sich haben als wir.

 

Denn ich glaube, dass Gott uns weiten will mit jedem Atemzug im Leben jetzt – und über den Tod hinaus. Die Bibel sagt mir: Es ist zu einfach, mein einzelnes Leben als eine pure Linie anzusehen, die mit meiner Geburt begonnen hat und mit meinem Tod enden wird. Auferstehung und Ewigkeit sind für mich auch keine simple Verlängerung dieser gedachten Lebenslinie.

 

Sondern als Christin sehe ich mein und unser Leben vielmehr als ein Netzwerk an, verknüpft mit anderen Leben… ein anfangs kleiner Kreis von Verbundenheit, der sich im Lauf unseres Lebens ausdehnen will zu immer mehr und unterschiedlicheren Menschen, ja im Grunde hin zu allem, was lebt – und schließlich auf die ganze Schöpfung. Und dieser ganzen Schöpfung ist Auferstehung versprochen – Auferstehung in eine größere Dimension hinein, in das, was Jesus das Reich Gottes nennt. Da ist Gott alles in allem, unendliche Weite und liebende Verbundenheit mit allem. So ist für mich Leben, Sterben und Auferstehen ein spannendes Hineinwachsen in das große Reich Gottes in uns, zwischen uns und um uns herum.

 

Darum sind auch die Toten für mich als Christin nicht in einer anderen Welt, sondern in der größeren Welt rund um uns. Es schmerzt mich, dass ich sie nicht mehr sehen, hören, berühren kann. Und zugleich zwingt mich dieser Schmerz weiterzugehen, nicht stecken zu bleiben in der Fixierung auf diese einzelnen Menschen, so wichtig sie für mein Leben auch gewesen sein mögen. Der Schmerz bricht mein Herz auf und öffnet mich für andere, noch lebende Menschen und für die größere geistliche Dimension der Welt.

 

Um schon im Leben Auferstehung zu erleben und uns auf die ewige vorzubereiten, schlägt der evangelische Theologe Jörg Zink darum vor: „Wenn du um dich Menschen siehst, dann dehne dich, weite dich aus deinem engen Ich hinaus in die Barmherzigkeit, in das Mitgefühl, in die Liebe! Schotte dich nicht ab, mauere dich nicht ein, sondern öffne dich allem, was dir begegnet! Du wirst eines Tages in eine größere Welt eingehen und wirst Bürger einer größeren, weiteren Wirklichkeit sein, die ich das Reich Gottes nenne. Wenn du also nicht weißt, was du tun sollst, dann tu etwas, durch das du dich dehnst, nicht deine Macht, nicht deinen Besitz, deine Bedeutung, sondern dich selbst! Du nimmst (damit) deine Auferstehung vorweg. (…) Denn eine große Veränderung ist die Zukunft und der Tod ist der große Verwandler.“

 

…wie auch Hermann Hesse sagt:

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

bereit zum Abschied sein und Neubeginn,

um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

in and´re neue Bindungen zu geben.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

uns neuen Räumen jung entgegen senden…“

„Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“