Das Evangelische Wort

Sonntag, 07. 12. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Mag. Roland Werneck, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Wien

 

 

Advent ist im Dezember. So heißt eine Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland, die darauf aufmerksam machen will, wie wichtig es ist, die Vorbereitung auf das Weihnachtsfest bewusst zu begehen. Die Initiative wendet sich dagegen, dass in den Kaufhäusern und Supermärkten schon ab September Weihnachtsartikel angeboten werden.

 

Natürlich ist das richtig: Auch ich will keine Weihnachtsbäckerei essen, wenn es draußen noch sommerlich warm ist. Trotzdem möchte ich dem Motto dieser Initiative heute widersprechen. Advent ist nicht nur im Dezember. Advent heißt Ankunft. Wir Christenmenschen warten auf die Ankunft von jemandem, der etwas Neues bringt. Martin Luther hat ein schönes Adventlied geschrieben: Nun komm, der Heiden Heiland! In diesem Lied wird die alte christliche Ungeduld besungen, dass Jesus der Heiland endlich wiederkommen möge.

 

Die ersten Christinnen und Christen waren noch sehr ungeduldig. „Komm, Herr Jesus!“ haben sie gerufen in ihren Gottesdiensten. Sie hatten die große Hoffnung darauf, dass sich etwas ändern wird in der Welt durch die Ankunft, durch den Advent des Herrn Jesus. Sie waren davon überzeugt, dass die Macht des Todes in unserer Welt durch seine Wiederkunft bald ein Ende haben wird. Die Machtverhältnisse werden sich grundlegend ändern, weil wir in der Zeit des Advent leben – diese Hoffnung gehörte zum christlichen Glaubensbekenntnis von Anfang an dazu.

 

Über die Jahrhunderte ist aus dem ungeduldigen Warten oft ein bequemes Einrichten im Wartesaal geworden. Die Kirchen wollten von einer Änderung der Machtverhältnisse  nichts mehr wissen, weil sie selbst machtvolle Institutionen geworden waren.

 

Wenn wir im Advent singen „Nun komm der Heiden Heiland“, dann klingt da aber noch etwas durch von der Ungeduld und der Hoffnung auf Veränderung.

 

Es hat im Christentum von Anfang an eine Spannung gegeben zwischen den adventlichen und den weihnachtlichen Kräften – und es gibt sie bis heute. Die adventlichen sind die, die davon überzeugt sind: Was wir Menschen erleben, wie wir sind – das ist noch nicht alles, da steht noch etwas aus! Gewalt, Hunger, Krieg, Ungerechtigkeit –  das kann nicht das letzte sein! Es ist uns versprochen worden, dass all das Leid auf dieser Erde einmal zu Ende gehen wird. Es wird etwas Neues kommen!

 

Die weihnachtlichen Kräfte betonen den Bruch, der mit der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem schon passiert ist. Gott ist Mensch geworden, das neue Zeitalter hat schon begonnen. Diese Meinung hat sich in den Kirchen durchgesetzt, deshalb zählen wir die Jahre in unserem Kalender „nach Christi Geburt“.

 

Ich denke in diesen Tagen besonders an meinen wichtigsten theologischen Lehrer. Der Berliner Professor Friedrich-Wilhelm Marquardt wäre am 2. Dezember 80 Jahre alt geworden. Er hat uns  Studierende  immer wieder an das adventliche Element im christlichen Glauben erinnert. Ihm war besonders wichtig, dass Jesus für uns Christenmenschen nicht nur der Heiden Heiland ist, sondern auch der jüdische Messias. Die Hoffnung auf eine neue Welt hat ja ihren Ursprung im Judentum. Dieser Messias, von dem wir in der Bibel lesen, im Alten und im Neuen Testament, ist immer auch der Kommende, der die Machtverhältnisse auf der Erde ändern wird. Darauf dürfen wir hoffen: Das Leben wird stärker sein als der Tod, die Liebe stärker als der Hass, Gottes Barmherzigkeit wird den Menschen Frieden und Versöhnung bringen. Dieses adventliche Element im christlichen Glauben verbindet uns mit unseren jüdischen Geschwistern – es ist das Utopische, das Visionäre, der Glaube an eine bessere Zukunft.

 

Wir Christenmenschen leben in der Spannung zwischen Advent und Weihnachten, zwischen dem „noch nicht“ und dem „schon jetzt“.

 

Advent ist im Dezember. Es ist eine gute Zeit, darüber nachzudenken, worauf wir in unserem Leben warten, was unsere Sehnsüchte, unsere Hoffnungen, unsere Ziele sind. Es ist eine gute Zeit für Träume und Visionen. Es ist eine gute Zeit, um adventliche Lieder zu singen: „Nun komm, der Heiden Heiland!“

 

Advent ist Hoffnung auf Veränderung, ist Ungeduld. Und deshalb ist Advent nicht nur im Dezember. In diesem Sinn ist unser ganzes Leben eine adventliche Zeit.