Das Evangelische Wort

Sonntag, 21. 12. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Maria von Nazareth – Vorbild auch für Evangelische?!“

Von Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Reiner (Wien)

 

 

„Ihr habt ja keine Maria“, das hören evangelische Christen ziemlich oft. Gemeint ist damit meistens, dass die sog. Marienfrömmigkeit in der evangelischen Glaubenspraxis eine äußerst geringe Rolle spielt.

Aber am heutigen 4. Adventsonntag, da steht auch im evangelischen Gottesdienst  Maria von Nazareth wieder in der Mitte.

 

Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt...Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben.

 

Eine junge Frau, weitab von allen Metropolen der Weltgeschichte, erhält eine  Botschaft, mit der sie zunächst einmal überhaupt nichts anzufangen weiß. Freilich herrschte im damaligen Palästina Umbruchstimmung und auch die so genannten einfachen Leute erwarteten eine Zeitenwende. Die alte Messiashoffnung, die Vorstellung, dass Gott selbst eingreifen und sich seines Volkes annehmen wird, war gerade in dieser Zeit der äußeren Not und Bedrängnis wieder lebendig geworden. Auch Maria von Nazareth wird davon gewusst haben. Dennoch kann sie dem Engel zunächst nur mit Erschrecken begegnen. Die biblischen Erzähler lassen Maria ganz menschlich reagieren. Sie kann nicht fassen, dass sich die alte Verheißung gerade in ihrem Leben und durch sie erfüllen sollte.

 

Wer könnte das schon? Viele fragen heutzutage auch bei uns: „Was kann ich denn schon bewirken als kleines Rädchen im großen Getriebe? Wenn die Milliarden hin und her geschoben werden, wenn Börsen krachen und hochangesehene Firmen die Belegschaft kündigen und schließlich zusperren müssen – was kann denn ich dagegen tun?

Es stimmt schon, vieles, vielleicht sogar das meiste geschieht in unserer Welt über unsere Köpfe hinweg. Aber jeder und jede hat doch seinen und ihren Bereich, in dem es eben genau auf mich ankommt, auf mein Engagement,  auf mein Ja und mein Nein.

Die biblische Maria, die zarte Mutter Christi, wie sie Martin Luther einmal genannt hat, kann uns gerade darin zum Vorbild werden, ganz gleich, welcher Konfession wir auch angehören.

Allerdings wurde Marias Ja durch die Jahrhunderte oft missbraucht, um Frauen in jene Rollen zu drängen, die zu allem, was Männer sich ausdenken und durchführen, ihre Zustimmung zu geben haben.  In manchen Teilen der Welt und mitunter auch ganz in unserer Nähe ist das bis heute so geblieben.

 

Das Ja Marias aber war von der Hoffnung getragen, dass nunmehr eine Zeit anbrechen wird, in der Gerechtigkeit und Liebe regieren und jeder Mensch, Frau wie Mann, in ihrer und seiner Würde gesehen und anerkannt wird.

 

Es mag schon sein, dass evangelische Christen weniger Marienlieder kennen und mit Marienaltären wenig anzufangen wissen. Das Beispiel dieser mutigen und zum außergewöhnlichen Engagement bereiten jungen Frau fordert über Konfessionsgrenzen hinweg alle heraus, sich dafür einzusetzen, dass die Menschenfreundlichkeit Gottes wieder spürbar wird in dieser Welt – nicht nur, aber auch zur Weihnachtszeit.