Das Evangelische Wort

Sonntag, 04. 01. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Landessuperintendent Pfarrer Thomas Hennefeld, Wien

 

 

Ein neues Jahr hat begonnen. Die Silvester-Feiern sind vorüber, die Nachwirkungen hoffentlich auch. Die Christbäume türmen sich an den Sammelstellen. Manch einer wird sich fragen: Was soll an diesem Jahr neu sein? Was hat sich verändert oder wird sich verändern außer ein paar Gesetzesnovellen? Ist nicht alles schon einmal dagewesen? Besteht das Leben nicht aus Wiederholungen unter immer wieder neuen Vorzeichen? Schon der Prediger hat vor 2500 Jahren solche Gedanken gehabt, wenn er schreibt:

 

Kohelet 1,9

 

Was einmal geschah, wird wieder geschehen, und was einmal getan wurde, wird wieder getan, und nichts ist wirklich neu unter der Sonne.

 

Ernüchternde Worte angesichts des Beginns eines neuen Jahres, angesichts einer Gesellschaft, die darauf getrimmt ist, ständig einen Kick zu bekommen, die fieberhaft auf der Suche nach Neuem ist, hungrig nach Sensationen und Events. Was gestern noch brandaktuell war, ist heute schon Schnee von gestern. Der Prediger verdirbt uns den Spaß, wenn er solche fatalistisch anmutenden Feststellungen trifft.

 

Ja, gerade in solchen Zeiten, in denen sich Sinn- und Finanzkrisen gegenseitig aufschaukeln, verbinden Menschen einen Neubeginn – und sei es auch nur dem Kalender nach – mit der Hoffnung, das Alte hinter sich lassen zu können und wieder neu durchzustarten.

 

Die Reformation, aus der die evangelischen Kirchen hervorgegangen sind, kehrte zum Ursprung zurück, und brachte gleichzeitig ein neues Denken hervor. Einer der maßgebenden Reformatoren war Johannes Calvin, dessen Geburtstag sich heuer zum 500. Mal jährt. Die Reformierte Welt und so auch unsere reformierte Kirche in Österreich wird dieses Jubiläum gebührend feiern, mit  Gottesdiensten, Vorträgen und anderen Aktivitäten. Das Jahr bietet die Gelegenheit, eine größere Öffentlichkeit mit dem Denken und den Schriften dieses herausragenden Reformators bekannt zu machen und uns sein geistiges Erbe in Erinnerung zu rufen und daraus zu lernen. Entscheidend für die Lehre Calvins war die Verbindung von Gottesliebe und Menschenliebe. Das war nichts wirklich Neues, aber er brachte diesen Zusammenhang neu zur Geltung und zog klare Konsequenzen daraus.

 

Wer Gott die Ehre geben will, der hat sich auch um seinen Mitmenschen zu kümmern und zwar nicht nur so, dass er momentane Bedürfnisse stillt, sondern dass er mit den ihm gegebenen Möglichkeiten seine Umwelt, seine Gesellschaft, ja die bewohnte Erde gestaltet.

 

In Genf hat Calvin trotz widriger Umstände dieses Kunststück zuwege gebracht. Wer Gott allein die Ehre gibt, der kann seine Frömmigkeit, seinen Glauben nicht trennen von seinen Werken. Wir können uns das Heil nicht erarbeiten oder erkaufen, aber aus Dankbarkeit für die Gaben und das Gute, das wir von Gott geschenkt bekommen haben, dürfen, müssen wir alles daran setzen, diese Welt zum Guten zu verändern. Nicht irgendwo ein paar Almosen verteilen, ein bisschen spenden für einen karitativen Zweck, sondern mitwirken, dass Not und Elend zurückgedrängt werden. Gott zu loben heißt damit auch, politisch zu denken, Gesetze, Handlungen, Entscheidungen von Politikern daran zu messen, welche Auswirkungen diese auf die Schwächsten in der Gesellschaft haben, auf unter die Armutsgrenze geratene Menschen, auf Flüchtlinge, auf Migranten.

 

Wenn wir Gott die Ehre geben wollen, dann können wir nicht schweigen zu den Millionen, die für viele unsichtbar täglich um das nackte Überleben kämpfen müssen, weil sie hungern, weil sie Opfer von Krieg und Besatzung sind, weil sie in einem erbarmungslosen Wettbewerb unter die Räder kommen.

 

Es gibt nichts Neues unter der Sonne? Das Jahr beginnt, wie das letzte zu Ende gegangen ist? Dann sollten wir uns erinnern an dieses Bestreben des Genfer Reformators: Wo Gott geehrt wird, dort wird auch Menschlichkeit gepflegt und umgekehrt: Wo der Mensch mit Füßen getreten wird, dort kann Gott gar nicht gelobt werden, dort wird er nur verhöhnt und zum Götzen gemacht. Es gibt etwas Neues. Es gibt die Botschaft eines neuen Lebens und wir können ein Teil davon sein. Das zieht sich durch die Bibel: von der Erwählung eines schwachen Volkes angefangen, über die schneidend scharfe Kritik der Propheten an den Mächtigen und Selbstgefälligen bis zu Jesus, der mit seinem Kommen die Verhältnisse auf den Kopf gestellt hat. Es kann sich etwas ändern, wir dürfen an die Macht der Veränderung glauben. Gott selber greift ein, und er tut es durch uns. Die Welt kann neu und anders werden. Das beginnt mit dem Lob Gottes, und mit dem Glauben daran, dass er uns beflügelt, damit wir uns aufmachen, damit die Dinge nicht so bleiben, wie sie sind.