Das Evangelische Wort

Sonntag, 15. 02. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Mag. Roland Werneck, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Wien

 

 

Ich gehöre zu einer Generation, die die Geographie der Bibel fast gleichzeitig im Religionsunterricht und durch die Nachrichten im Radio gelernt hat. Israel und Ägypten – diese Ländernamen waren mir durch den 6-Tage-Krieg 1967 schon als sechsjährigem vertraut, als ich in der Schule die Geschichte von Mose und der Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei des Pharaos gehört habe. Jerusalem kam mir sehr nahe, als Stadt mit einem Bürgermeister aus Wien und einer gefallenen Mauer und als Stadt, in der Jesus gekreuzigt wurde und auferstanden ist.

 

So beschäftigen mich die Nachrichten vom Konflikt im Nahen Osten seit mehr als 40 Jahren und genau so lange begleiten mich die Ermutigungs- und Hoffnungsgeschichten aus der Bibel.

 

In den letzten Wochen des Gaza-Krieges sind auch bei uns in Österreich viele Emotionen wachgerufen worden. Kommentare und Leserbriefe in den Zeitungen zeigen, dass dieser Konflikt im Land der Bibel auch bei uns viele Menschen stark berührt. Bei mir haben die Berichte ein Gefühl der Ohnmacht hinterlassen. Es fällt mir schwer, die Bilder des Krieges an mich heran zu lassen. Am liebsten hätte ich oft gar nicht mehr hingehört oder hingeschaut.

 

Aber dann sind mir meine Freunde vom parent's circle wieder eingefallen. Das ist eine Initiative von Israelis und Palästinensern, die einen nahen Angehörigen im Konflikt verloren haben und daraus den Schluss ziehen: „Wir wollen den Kreislauf der Gewalt durchbrechen. Wenn wir miteinander reden können, die wir Schmerz und Leid aus nächster Nähe erfahren mussten, wird das ein Zeichen für die Politiker sein.“

 

Das ist die feste Überzeugung der Mitglieder des parent's circle. Sie gehen mit dieser Botschaft in israelische und palästinensische Schulen und erzählen ihre persönlichen Geschichten - immer zu zweit, jeweils ein Vertreter der einen und der anderen Seite.

 

Es ist schwer, Geschichten über geliebte Menschen zu erzählen, die man verloren hat.

 

Es kostet Kraft, wenn die Erinnerungen an den Schmerz wieder wachgerufen werden.

 

Aber die Reaktionen auf diese unmittelbaren Zeugnisse zeigen: Diese Botschaft hat Zukunft! Nur wenn die jungen Menschen lernen, dass es eine Alternative zum Kreislauf der Gewalt geben kann, wird sich etwas ändern.

 

Natürlich erfahren die Mitglieder des parent's circle auch Widerstand. Sie werden oft als naiv und blauäugig bezeichnet. Aber wer kann glaubwürdiger von Versöhnung sprechen und weiß, wie schwer es ist, die Hand zu reichen, als die Mutter oder der Vater, der sein Kind im Krieg verloren hat?

 

In diesen Tagen breche ich mit einer Gruppe zu einer Studien- und Begegnungsreise nach Israel und Palästina auf. Wir werden auch meine Freunde vom parent's circle in  Jerusalem  treffen. Sie werden uns davon erzählen, wie wichtig gerade jetzt nach dem Krieg ihre Arbeit ist, auch wenn die politische Situation immer schwieriger wird. Wir Österreicher werden unsere Gesprächspartner fragen: „Was können wir in Europa , als vom Konflikt nicht unmittelbar Betroffene, tun?“ Und wir werden erfahren, dass unsere gut gemeinten Ratschläge für eine Lösung des Konflikts nicht helfen können, aber dass es gut ist, die Stimmen zu hören, die wirklich miteinander reden wollen.

 

Diese Stimmen des Friedens und der Versöhnung wie z. B. der Mitglieder des parent's circle brauchen Verstärkung, denn sie gehen oft unter im lauten Geschäft der Medienwelt.

 

Als mit der biblischen Geographie und der Botschaft der Hoffnung Vertraute haben wir Christenmenschen noch eine Möglichkeit, die wir nicht unterschätzen sollten: Wir können einstimmen in die uralten Gebete, wie z.B. den Psalm 122, einen Segenswunsch für Jerusalem: „Wünschet Jerusalem Glück! Es möge wohlgehen denen, die dich lieben! Es möge Friede sein in deinen Mauern und Glück in deinen Palästen! Um meiner Geschwister  und Freunde willen, will ich dir Frieden wünschen. Um des Hauses des Herrn willen, unseres Gottes, will ich dein Bestes suchen.“