Das Evangelische Wort

Sonntag, 01. 03. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

Wie kommt eigentlich ein Mensch dazu, über einen anderen zu befinden, ihm Weisungen zu erteilen, ihn zu bewerten und über sein Schicksal zu entscheiden?

 

Da schreiben zahllose junge und ältere Männer und Frauen mit Sorgfalt und nach allen Regeln einer eingelernten Kunst verzweifelt Bewerbung auf Bewerbung. Und ein anderer Mensch heftet sie nach kurzem Drüberfliegen ab oder wirft sie in den Papierkorb. Oder er sortiert sie gnädig aus und verschickt eine Einladung zu einem Gespräch.

 

Da sitzen mit zugeschnürter Kehle Menschen in Bewerbungsgesprächen, müssen ihre Vorzüge zur Geltung bringen, sich anpreisen und auf hintergründig gestellte Fragen über ihre Person möglichst geschickt antworten. Bis der Gesprächspartner auf der anderen Seite des Schreibtisches sie mehr oder weniger freundlich verabschiedet: „Sie hören von uns…“  Wenn´s gut geht, kommt später dann der Anruf: „Wir haben uns für sie entschieden…“ oder „Es tut uns leid…“

 

Da fährt ein - warum auch immer - eh schon gereizter Chef oder eine Chefin die Mitarbeiterin wegen einer Lappalie an. Schon der Tonfall ist demütigend, und die Betroffene spürt wie sonst nie: Er oder sie sitzt mir gegenüber einfach am „längeren Hebel“. Aber der Chef, die Chefin hält das für eine „notwendige Korrektur“.

 

Ich denke, die Frage muss erlaubt sein, mit welchem Recht eine solche Asymmetrie zwischen Menschen entstehen kann. Zwischen Menschen, die völlig unterschiedslos geliebte Geschöpfe Gottes sind. Wer entscheidet hier eigentlich über wen? Der, der beruflich fest im Sattel sitzt, über einen, der ihm hilflos ausgeliefert und darauf angewiesen ist, einen Job zu haben. Und wer korrigiert hier wen? Ein Mensch mit zahlreichen Fehlern einen anderen, der in diesem Augenblick etwas getan oder unterlassen hat, das der andere für falsch hält. Und das sicher anders schneller und besser in Ordnung gebracht werden könnte als durch verletzendes Herumschreien.

 

Die Frage, welches Recht ein Mensch hat, sich über einen anderen zu erheben,  mag „revolutionär“ klingen. Aber schon unter den ersten Christinnen und Christen kursierte ein Jesuswort, das sich mit dem Oben und Unten zwischen Menschen auseinandersetzt. Es lautet klipp und klar: „Einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder. Und ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist. Und ihr solltet euch nicht Lehrer nennen lassen; denn einer ist euer Lehrer: Christus. Der größte unter euch soll euer Diener sein.“ (Mt 23, 8b - 11)

 

Es gibt also keine „Meister“, keine „Lehrer“, nicht einmal „Väter“. Groß und Klein, Oben und Unten ist gegenstandlos. Was es gibt, ist die Verantwortung vor Gott und Christus. Und jeder und jede, die mit Menschen umzugehen hat, hat sich an dieser Verantwortung messen zu lassen. Im Beruf, im privaten Bereich, in der Kirche. Man könnte es die „Anarchie des christlichen Glaubens“ nennen. Aber es ist keine destruktive, sondern eine konstruktive Anarchie, die sich durch die ganze Verkündigung Jesu zieht. Die – an sich sinnvolle - Ordnung des Sabbats rangiert nicht vor, sondern hinter den menschlichen Bedürfnissen, die menschliche Würde, direkt von Gott gegeben, spielt die erste Rolle vor aller Hierarchie, die ohnehin nur von Menschen stammt.

 

Das ist keine fromme Utopie, sondern sollte sehr ernst genommen zu werden. In allen Bereichen menschlichen Miteinanders bei denen, die „oben“ sind: Im Schulunterricht, bei Einstellungsgesprächen, im staatlichen Gefüge bis hin zur Exekutive, überhaupt im Zusammenleben mit anderen.

 

Welches Recht hat ein Mensch, sich über einen anderen zu erheben? Die Bibel sagt: Eigentlich gar keines. Vor Gott ist Mensch Mensch, und das hat auch zwischen den Menschen zu gelten. Wer anderen anschafft, muss es verantworten. Nicht nur vor den anderen, sondern vor Gott. Wo das vergessen wird, zahlen Menschen drauf. Und das wiederum kann, wie man täglich sieht, schlimme Folgen haben.