Das Evangelische Wort

Sonntag, 15. 03. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

                                                                                      

von Superintendent Paul Weiland

 

 

In der Bibel, im Alten Testament, gibt es einen Mann namens Hiob, der für das Leid, das Unglück, das er ertragen muss, geradezu sprichwörtlich geworden ist. Hiob war ein rechtschaffener, sehr gläubiger Mensch, begütert und angesehen. Aber dann passierte es, ein Unglück folgte dem anderen. Er verlor seinen Besitz, seine Familie und seine Gesundheit.

 

Als die Freunde Hiobs vom Leid hörten, das über ihn gekommen war, eilten sie zu ihm und, so heißt es wörtlich im 2. Kapitel des Buches Hiob: "Sie setzten sich zu ihm auf die Erde sieben Tage und sieben Nächte lang und redeten kein einziges Wort mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war" (Hiob 2, 13).

 

Mir ist diese Bibelstelle eingefallen, als ich vom Amoklauf in Winnenden in Deutschland am Mittwoch vergangener Woche gehört habe. Die Klage, der Schmerzschrei der Angehörigen und Betroffenen bringt unüberbietbar zum Ausdruck, dass das Leiden in sich unverständlich ist, dass wir ihm im Grunde verständnislos ausgeliefert sind.

 

Leid kann man nicht verstehen. Das gilt auch nach christlichem Verständnis. Man kann es manchmal erklären, wenigstens einigermaßen. Erklären heißt nur: Etwas auf seine Ursachen und Bedingungen zurückzuführen. Aber die Erklärung macht das Leid nicht erträglicher.

 

Es gibt für den leidenden Menschen kaum etwas Unerträglicheres als zu schnelle Worte über sein Leiden. Wer hier überhaupt etwas sagen will, muss es wohl machen wie die Freunde Hiobs: Solidarisch sein und zunächst verstummen.

 

Die Leidenszeit oder die Passionszeit sind nicht nur Teil des Kirchenjahres, sondern auch fester Bestandteil des Lebens von uns Menschen. Im Christentum hat es immer wieder Versuche gegeben, das Leid zu verherrlichen. Weil durch das Leiden Christi so Großartiges geschehen ist, meinten und meinen viele, in der Nachfolge des Leidens ihr Heil zu finden. Für mich ist das nicht der christliche Weg.

 

Richtig ist, dass es kein Leben ohne Leiden gibt. Leiderfahrungen sind Störungen des Lebens. Schmerz, Sorge, Trauer und schließlich der Tod sind Lebensverderber.

 

Die Bibel gibt bezeichnenderweise keine Deutung des menschlichen Leidens; sie gibt dem Leiden keinen Sinn. „Durch Leiden lernen“, diese von griechischen Philosophen aufgestellte Ansicht, die wir auch gerne verwenden, um dem Leid einen Sinn zu geben, liegt der Bibel fern.

 

Das Buch Hiob zeigt, dass Leiden nach dem biblischen Verständnis auch nicht eine Strafe für begangene Sünden oder Unrecht ist.

 

Die Bibel gibt keine Rechtfertigung für das Leiden. Wohl aber wird vom Leiden Christi, von seiner Passionsgeschichte her, die einmalig und unwiederholbar ist, die menschliche Einstellung zum Leiden neu bestimmt. Dies geschieht auf sehr unterschiedliche Weise.

 

Einerseits leben die Glaubenden in der "Gemeinschaft der Leiden Christi“ (Phil 3, 10), so dass sie auch "Teilhaber" bzw. "Gesellschafter der Leiden" (2 Kor 1, 7) heißen können, wie der Apostel Paulus das im 2. Korintherbrief ausdrückt. Für uns heißt das: Wo die Lebensbeziehungen abzubrechen drohen durch Leid, Unglück oder Krankheit, dort setzt der Glaube eine ganz sensible Gemeinschaft entgegen.

 

Andererseits wird den Christen eine kompromisslose Gegnerschaft gegen das menschliche Leid und Elend zugemutet. Wie Jesus, so sollen auch seine Jünger den Leiden erzeugenden Mächten aktiven Widerstand entgegensetzen. „Jesus selbst“, so heißt es im Matthäusevangelium, "gab ihnen Macht über die unsauberen - d. h. Übles bewirkenden - Geister, dass sie diese austrieben und heilten allerlei Seuche und allerlei Krankheit" (Mt 10, 1).

 

Die beiden gegensätzlichen Einstellungen der Bibel zum menschlichen Leiden haben einen gemeinsamen Grundzug. Sie setzen ein Höchstmaß an Sensibilität für den leidenden Menschen voraus. Der christliche Glaube macht sensibel für die Leidensgeschichten, die Menschen erdulden müssen.