Das Evangelische Wort

Sonntag, 17. 05. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Superintendent Hermann Miklas

 

 

Ein junger Arzt hat unlängst bei der Eröffnung seiner Ordination mit dem Satz geworben: „Ich nehme mir Zeit für das Gespräch mit Ihnen!“ Das hat ihm nicht nur viel Zulauf beschert, sondern bald auch dazu geführt, dass sich die Leute im Wartezimmer regelrecht darum gestritten haben, wer die höchste Nummer ziehen darf, denn für die letzte Patientin, für den letzten Patienten würde der Herr Doktor doch sicher am allermeisten Zeit aufbringen.

 

Trotz modernster Kommunikationsmittel gibt es in unserer Gesellschaft offenbar einen großen Bedarf an Gespräch. Am ganz persönlichen Gespräch, in dem man Freud und Leid mit jemandem teilen und auch einmal sein Herz ausschütten kann. Barkeeper, Friseure, Taxifahrer und Seelsorger wissen ebenfalls ein Lied davon zu singen.

 

Der heutige Sonntag trägt den schönen Namen Rogate: „Betet!“ Und er lädt uns dazu ein, auch die Chance auf Gott als Gesprächspartner zu nutzen. Viele Menschen meinen ja, beten würde in erster Linie bitten bedeuten. Doch das wäre eine enorme Verkürzung! Beten ist viel mehr.

 

Es kann etwa heißen, an einem schönen Sommertag in der Früh aufzuwachen, sich des Lebens zu freuen – und jemanden zu haben, zu dem man einfach einmal kurz „Danke“ sagen kann. Oder in einer Entscheidungssituation, in der ich nicht so recht weiß, wie ich mich wirklich entscheiden soll, jemanden zu haben, dem ich mein Dilemma schildern kann. Meist brauche ich in solchen Fälle ja eh keine Antwort, sondern nur jemanden, der mir zuhört.

 

Und Gott hört zu.

Tag und Nacht.

Um mit Ihm zu reden, brauche ich nicht einmal eine Nummer zu ziehen, die Verbindung mit Ihm lässt sich sofort herstellen.

 

Natürlich können wir Gott gegenüber auch unser Herz ausschütten. In den Psalmen der Bibel sind uns viele solcher Gebete überliefert. Da staunt man nur so, mit was für einer Intensität die Menschen damals Gott ihr Leid geklagt haben: „Errette mich aus dem Schlamm, mein Gott, damit ich nicht versinke! Errette mich vor denen, die mich hassen! (Psalm 69)

 

Oder: „Ich denke an Gott – und bin betrübt. Du bist es, der meine Augen wach hält, sodass ich nicht schlafen kann. So voller Unruhe bin ich, dass ich gar keine Worte mehr finde. Ist´s denn ganz und gar aus mit Deiner Güte, Gott? Hast Du womöglich vergessen, gnädig zu sein?“ (Psalm 77)

 

Und Hiob zögert nicht einmal, den Herrn im Himmel anzuklagen, Ihm seinen ganzen Zorn regelrecht ins Gesicht zu schleudern, fernab von allen sanften, frommen Klischeevorstellungen.

 

Und dann wieder finden wir Psalmengebete, so lyrisch – fast wie Liebeserklärungen an den lieben Gott: „Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, Du bist herrlich! Schön und prächtig bist Du! Licht ist das das Kleid, das Du anhast…!“ (Psalm 104)

 

Last but not least können Gebete sehr wohl auch Bitten sein – aber eben nur: auch. Bitten um die Hilfe Gottes in schwieriger Lage. Bitten – übrigens nicht nur für sich selbst, sondern ebenso für andere. Denn die Für-Bitte ist mindestens so bereichernd wie die Eigen-Bitte, weil sie den Horizont weitet zum teilnehmenden Blick auf das Schicksal unserer Nächsten.

 

Jesus sagt uns zu, dass unsere Bitten nicht vergeblich sein werden – selbst wenn ihre Erfüllung am Ende einmal anders aussehen mag, als wir uns das am Angang vielleicht erwartet hatten. Doch: „Welcher irdische Vater würde seinen Kindern einen Stein geben, wenn sie ihn um Brot bitten?“, sagt Jesus. „Oder einen Skorpion, wenn sie um einen Fisch bitten? Um wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die Ihn bitten!?“

 

Kurz: Beten zu können – in all seinen reichhaltigen Möglichkeiten – hat etwas ausgesprochen Heilsames. Und der heutige Sonntag Rogate ist eine Einladung Gottes. Gleichsam das Schild an Seiner Himmelstür: „Ich nehme mir Zeit für das Gespräch mit dir!“