Das Evangelische Wort

Sonntag, 31. 05. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Reiner

 

 

Genau heute vor 75 Jahren wurde in Barmen bei Wuppertal im damals unter der Hitlerherrschaft stehenden Deutschland die so genannte Theologische Erklärung von Barmen veröffentlicht. Unter dem Stichwort „Barmer Thesen“ ist diese Erklärung in vielen evangelischen Liederbüchern abgedruckt. In der Präambel zur Kirchenverfassung der beiden evangelischen Kirchen in Österreich wird deutlich auf sie verwiesen.

 

Theologische Erklärungen nehmen Stellung zu bestimmten Ereignissen oder Vorfällen und betrachten diese aus christlicher und biblischer Perspektive. Meist werden sie von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

 

Nicht so die Thesen von Barmen. Einem ihrer theologischen Väter, Karl Barth, wurde als Reaktion auf die Thesen die Lehrbefugnis an der Universität Münster entzogen. Er kehrte daraufhin in seine Schweizer Heimat zurück. Aber auch die anderen Theologen, die sich aus vielen Teilen Deutschlands versammelt hatten, wurden fortan von der Gestapo genau beäugt, ihre Gottesdienste abgehört, ihre Schriften oft und oft beschlagnahmt und verzerrt und einige unter ihnen schließlich auch eingesperrt.

 

Dabei handelt es sich um sechs eher schlichte Thesen, die an keiner Stelle die damalige politische Führung namentlich erwähnen , aber dennoch in ihrer Klarheit von jedermann und jeder Frau sofort verstanden wurden, wenn es etwa in der 1. These heißt:

 

„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

 

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

 

„Es gilt ein frei Geständnis in dieser unserer Zeit, ein offenes Bekenntnis, trotz allem Widerstreit.“ So heißt es in einem Pfingstlied, das heute wohl in vielen evangelischen Gottesdiensten gesungen wird. Genau daran haben sich die damals in Barmen versammelten Theologen gehalten. Sie wollten den Christen in Deutschland in einer Zeit, wo ein frei Geständnis und ein offenes Bekenntnis Gefängnis und mehr bedeuten konnte, daran erinnern, was Christsein hier und heute heißt, woran wir uns zu orientieren haben, wollen wir denn die Botschaft der Bibel ernst nehmen und aus Gottes Geist heraus zu leben versuchen.

 

Feig und mutlos wären die Christen dann, wenn wir es nicht mehr wagen würden, wie damals vor einem dreiviertel Jahrhundert, frei dafür einzustehen, dass Gott alle Menschen liebt, gleich, welcher Rasse und Nation sie auch angehören mögen. Wir dürfen die Welt, in der wir leben, nicht jenen überlassen, deren politische Agitation in einfachen Botschaften jene grauenvollen Ziele von einst wieder als chic und modern den Menschen vor Augen führen.

 

„Es gilt ein frei Geständnis in dieser unserer Zeit“: Die Barmer Thesen haben noch nicht ausgedient. Sich daran zu orientieren, tut uns allen gut. Auch 75 Jahre später, am Pfingstsonntag 2009.