Das Evangelische Wort

Sonntag, 07. 06. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Besser eine Wahl als keine Wahl zu haben“

von Pfarrer Harald Kluge (Wien)

 

 

Gott liebt Wahlen. Und Gott liebt es, Menschen zur richtigen Wahl zu bewegen. Dabei bleibt Gott alles in allem höchst wählerisch und trifft seine Wahl immer nach den wirklich guten Argumenten. Welches nun die wirklich guten Argumente sind, das muss – nach evangelischem Grundverständnis – jede und jeder für sich selbst mit ihrem, respektive seinem Gewissen und Verstand ausmachen.

 

Das dachten sich auch die Gründerväter der christlichen Religion in Jerusalem. So war das erste, was die Anhänger von Jesus nach dessen Himmelfahrt gemacht haben: Sie haben eine Wahl veranstaltet. Einer von den Zwölfen, Judas, war aus dem Kreis der Jesusjünger ausgefallen. Nicht alles, was Judas getan hatte, war wohl schlecht gewesen.  Doch er hatte Jesus verraten. Judas hat seine Freunde verkauft und gilt als Archetyp des korrupten Mitläufers, der die Sache verrät, wenn der Preis stimmt. Aber Judas ist aufgeflogen und hat sich mit seiner Schurkerei und dem verräterischen Kuss sozusagen selbst den Strick gedreht, wie wir wissen.

 

Seine Jüngerposition musste nachbesetzt werden und die 120 dienstfertigsten Anhänger von Jesus hielten eine Wahl in Jerusalem ab, lesen wir am Beginn der Apostelgeschichte. Zwei Kandidaten standen zur Wahl. Josef, genannt Barsabbas mit dem Beinamen Justus auf der einen Seite und Matthias auf der anderen. Es heißt in Apostelgeschichte 1: Die 120 Wahlmänner haben ihre Hände gefaltet und gebetet.  

 

„Herr, du kennst die Menschen durch und durch.

Zeige uns, welchen von diesen du ausgewählt hast!“

 

Echtes Gottvertrauen haben sie in diese beiden Männer gesetzt. Aber es war nur eine Stelle frei im Kreis der Jesusjünger. Zwei Kandidaten – aber es konnte nur einer den vorderen Platz einnehmen. So wurde das Christentum bereits zu Beginn eine Religion der Wahlen. Immer wieder mussten sich Christinnen und Christen für etwas oder gegen etwas entscheiden.

 

In der Evangelisch-Reformierten Kirche, der ich angehöre, ist es so auch üblich und ein Grundsatzartikel, dass Pfarrerinnen und Pfarrer etwa von der Gemeinde zu wählen sind. In unseren Grundsätzen heißt es:

„Niemand kann gegen den Willen einer Gemeinde zu ihrem Pfarrer oder ihrer Pfarrerin bestellt werden.“

Diese Wahlfreiheit und so ein Wahlvorgang bewirkt für jede Pfarrerin eine gewisse Legitimierung von Seiten der Gemeinde. Das heißt jedoch nicht, dass die Pfarrer daraufhin alles Mögliche und Unschöne tun und sagen können, was ihnen gerade in den Unsinn kommt. Eine Wahl macht niemanden sakrosankt. Da haben alle Kirchen ein Disziplinarrecht. Eine Wahl sollte immer gut überlegt sein.

 

Auch heute bei der EU-Wahl kann ein wenig Heiliger Geist beim Wählen durchaus nicht schaden. Aber wir sollten nicht alles auf ihn abwälzen. Wahlen sind in der Vorbereitung bei der Meinungsfindung eine anstrengende Sache. Nie war es so wichtig und auch so einfach, sich auf Knopfdruck viele Informationen zu besorgen über Kandidatinnen und Kandidaten und wofür sie stehen bzw. wofür sie sich in Brüssel ins Parlament setzen wollen. Sein Kreuz auf dem Wahlzettel zu machen ist einfach und es ist für mich immer wieder spannend mitzuverfolgen, wer denn schließlich wie abschneidet.

 

Übrigens: Als Nachfolger von Judas, zum dreizehnten Apostel, wurde Matthias gewählt. Was er als gewählter Abgeordneter jedoch so getan hat, findet sich nur im Bereich der Legenden. Von Matthias lesen wir in der Bibel nach seiner erfolgreichen Wahl kein weiteres Wort. Hoffen wir, dass es mit unseren EU-Abgeordneten nicht auch so läuft und sich dort nicht alles im Reich der Gschichterln und Legenden abspielen wird. Und denken wir daran: Der Heilige Geist hat die Jünger zu Pfingsten erst nach den Wahlen erfasst. Aber danach ist man ja immer klüger, wie es heißt.