Das Evangelische Wort

Sonntag, 21. 06. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Rainer Gottas, Klagenfurt

 

 

Ende 1510 macht sich ein junger Augustinermönch, Martin Luther sein Name, auf eine Pilgerfahrt nach Rom. Er hat den Auftrag im Gepäck, einen Antrag zur Verschärfung einiger Ordensregeln zu stellen. Reformerische Ideen hat er im Alter von 27 Jahren noch keine. Nach zwei Monaten beschwerlicher Pilgerschaft erreicht Luther Rom und ist vom Anblick der Stadt, vom bunten Leben und Treiben, überwältigt. Bald begibt er sich auf die Spuren der Heiligen und Märtyrer und besucht an einem Tag – zu Fuß! – die sieben großen Wallfahrtskirchen und rutscht im Gedenken an die Leiden Jesu die 28 Stufen der Laterankirche auf Knien hinauf. Gerne hätte er seinen Angehörigen einen ewigen Ablass der Sündenstrafen erworben und sie aus dem Fegefeuer erlöst …

 

Letztes Wochenende war ich (auch) in Rom – weniger als Pilger als neugierig auf die Buntheit der Stadt, die Vielfalt, die Begegnung von Antike, Kirchengeschichte und Gegenwart. Natürlich bin auch ich wie Luther durch Kirchen gelaufen. Ich habe diese Monumente barocker Machtentfaltung bestaunt. Viel mehr aber haben mich in Rom die Menschen beeindruckt - dieses pulsierende und vibrierende Leben, dem man sich, wenn man mit wachen Sinnen durch die Stadt geht, gar nicht entziehen kann: Sei es der Gaukler auf der Strasse, der mit Witz und Improvisationsgabe einen ganzen Platz in Bann zieht, oder die an den Brunnen sitzenden Menschen, die diskutieren und gestikulieren, Musik machen, singen. Dazu die Freude am gemeinsamen Essen, am Genuss, am Flanieren, an der Schönheit, am Spiel mit dem anderen Geschlecht – all das steckt an. Man zeigt, was man ist und was man hat. Dazu machte Luther eine treffende Beobachtung: „Die Kleidung der Italiener ist köstlich. Sie halten sich reinlich. Wenn wir eine Elle Samt für einen Gulden tragen, so tragen sie eine Elle für 6 Gulden.“ Was tut man nicht alles, um eine „bella figura“ zu machen! Ja, und sogar der vollkommen chaotische, aber ohne Aggression fließende römische Verkehr scheint mir wie ein Teil dieser Lebensfreude.

 

Wenn ich mich frage: „Woher kommt meine Lebensfreude?“, fallen mir spontan folgende Antworten ein:

Da gehört ein Stück Unbeschwertheit dazu – auch in dem Sinn, dass ich mich von Dingen trenne, die ich nicht mehr wirklich brauche – das tut dann auch der Seele gut.

 

Wasser, Wind, Licht und Wärme machen mich gut aufgelegt – deshalb mag ich den heute beginnenden Sommer.

 

Meines Lebens freue ich mich, wenn ich mich aufgehoben fühle: Bei meiner Frau, meinen Kindern, meinen Kollegen, aufgehoben in dieser Welt, bei Gott – mit meinen Stärken und meinen Fehlern, geliebt von Anfang an, immer schon.

 

Und Freude zieht Kreise: Sie kommt von anderen Menschen, die mich mit ihrer Lebensfreude anstecken und in Bann ziehen - von Kindern, Spielenden, Liebenden, Tanzenden, Kreativen… – so wie eben in Rom erlebt.

 

Sich des Lebens zu freuen - mit allen Sinnen - das ist dem älteren Martin Luther ganz sicher auch nicht fremd gewesen. Er hatte keine Angst mehr vor Sündenstrafen, weil er entdeckt hatte: Zu mir ist ein großes „Ja“ gesagt – aus lauter Liebe. Ja - genieße und freue dich deines Lebens!