Das Evangelische Wort

Sonntag, 28. 06. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Mag. Gisela Ebmer

 

 

„Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist.“ (Ex. 20, 4)

 

 

Da steht er nun im schwarzen Anzug, Krawatte, neuem perfekten Haarschnitt, eleganten Schuhen. Aufrecht und stolz. Shakehands mit dem Direktor und dem Klassenvorstand. Der kleine Benni, der vor acht Jahren in meine Schule gekommen ist, quirlig, verspielt, unkonzentriert, gerne bereit auch mal hinzuschlagen, wenn ihm jemand in die Quere kommt. Jetzt hält er sein Maturazeugnis in der Hand, während die Bundeshymne gesungen wird. Ein ergreifender Augenblick. Der Fotograf hält alles genau fest. - Er hält es fest? - Was hält er fest? Benni im Maturaanzug? Was wird Benni mit den Bildern wohl machen? Sie stolz seinen Eltern und Großeltern zeigen. Später vielleicht einmal seinen Kindern und Enkeln. Aber zeigt er diese Bilder auch seinen Freunden im Fußballverein? Sollen die ihn so sehen? Ist das wirklich er auf dem Foto? So völlig streberhaft und uncool? Wer ist er eigentlich? Der auf dem Foto oder ein ganz anderer?

 

Du sollst dir kein Bild machen. So steht es in der Bibel. Nicht nur von Gott sollen wir uns kein Bild machen. Auch von allem, was auf der Erde und unter der Erde ist. Strenge Muslime halten sich daran und verbieten das Fotografieren. Der Schweizer Reformator Johannes Calvin hat vor etwa 500 Jahren dieses biblische Gebot wieder eingemahnt.

 

Und doch leben wir ständig mit Bildern: Die Plakatflächen und Zeitungen sind voll davon, Fernsehen und Film sowieso. Urlaubsprospekte kommen ohne Bilder nicht aus. Unsere Wunschträume und Albträume sprechen in Bildern. Ich habe immer sofort ein Bild von einem Menschen, wenn ich ihn kennenlerne. Er oder sie ist mir sympathisch oder unsympathisch. Ein Bild haben bedeutet doch auch, einen Bezug zu etwas oder zu jemandem haben, ein Gefühl entwickeln. Da unsere Augen sehen, unsere Ohren hören, unsere Nase riecht, unser Tastsinn spürt, nehmen wir unsere Umwelt immer in Bildern war – in Sehbildern, Hörbildern, Riechbildern oder körperlich spürbaren Bildern. Wir können gar nicht ohne Bilder leben.

 

Und doch: Benni im schwarzen Maturaanzug ist nicht ganz sicher, ob das er ist auf dem Bild. Er ist viel mehr. Das Foto ist nur ein winzig kleiner Ausschnitt aus seinem Leben. Und auch wenn es vielleicht einige Menschen gibt, die ihn gerne immer so sehen würden, ihn einkasteln wollen in dieses Korsett des braven Strebers: Er will lebendig bleiben! Er lässt seine Lebensfreude, seinen Spaß, sein Cool-Sein, sein Ausgeflippt-Sein, seinen Bewegungsdrang nicht abtöten. Er ist der Benni im verschwitzten Fußball-Dress, der Benni in der Disko, der Benni mit dem zärtlichen Arm um die Freundin, der Benni mit dem Krügerl Bier in der Hand – und der Benni im Matura-Outfit. Bilder sperren ihn ein. Sie lassen die Leute glauben, dass sie die Wirklichkeit sehen. Und in Wirklichkeit ist die Wirklichkeit viel mehr.

 

Von Gott sollen wir uns kein Bild machen, weil Gott lebendig bleiben will und nicht eingesperrt in unseren eigenen Wunschräumen oder in den Angstträumen derer, die sich von ihm verabschiedet haben.  Gott durchkreuzt immer wieder unsere Pläne, wenn er meint, das ist besser für uns. Durchkreuzen. Auch das Kreuz Jesu Christi ist ein solches Durchkreuzen. Es geht nicht nur um das Siegen in der Welt. Gott ist nicht nur stark. Gott leidet und scheitert und stellt sich damit auf die Seite der Schwachen und Ausgegrenzten.

 

Wenn mein Benni sich wünscht, dass sein Maturabild vom braven Streber - durchkreuzt wird, dann wär's wohl am besten, er stellt eine Collage zusammen: Benni als kleines quirliges Kind mit verrotzter Nase und blutig geschlagenen Knien,  Benni als braver Volksschüler, Benni als pubertierender Konfirmand mit blauem Haar und Piercings, Benni als erwachsener Maturant, Benni als verschwitzter Fußballer, Benni im Arm seiner Freundin, Benni ausgeflippt in der Disko. Das ist der lebendige Benni oder zumindest eine Annäherung an ihn.

 

Und wie oft bei einer Beerdigung ein Erinnerungsbild an die Verstorbene ausgeteilt wird, so hat das auch die Familie einer alten Frau aus meiner Pfarrgemeinde getan: Ein A4-Blatt aus dem Leben: Martha lächelt mir im Badeanzug zu, sie prostet mir zu mit einem Glas Wein, sie steht mit einem alten Hut am Flohmarkt-Verkaufsstand und sitzt nachdenklich in der Kirche. So vielfältig wird sie mir in Erinnerung bleiben.

 

Wir vermeiden in der evangelisch-reformierten Kirche fixe Bilder, die festhalten, was sie nicht können. Wir vermeiden auch das Kreuz. Weil wir wissen, dass es im Laufe der Geschichte bis zum heutigen Tag immer wieder dazu verführt hat, es als Mittel zum Kampf und zur Ausgrenzung zu verstehen. Gottes Schöpfung ist vielfältig und unendlich. Nicht festzuhalten. Viele Menschen, viele Bilder, viele Kulturen und Religionen, viele Lebensbilder vom 18-jährigen Benni und der 94-jährigen Martha sind eine kleine Annäherung an das Wunder, das Gott uns geschenkt hat.