Das Evangelische Wort

Sonntag, 02. 08. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

So erkenn ich in allen die ewige Zier

und wie mir´s gefallen,

gefall ich auch mir.

Ihr glücklichen Augen,

was je ihr gesehn,

es sei, wie es wolle,

es war doch so schön.

 

Goethe war kein frommer Mensch. Zumindest nicht in kirchlichem Sinn. Er war kritisch, und im Alter, so heißt es, sei der Geheimrat nörgelnd geworden.

 

Und doch hat er in seinem Faust-Drama, in das er seine gesamte Lebenserfahrung verpackt hat, an einer Stelle etwas aufblitzen lassen, das eine Sicht der Dinge verrät, über das man an einem Sommersonntag durchaus auch einmal nachdenken kann. 

 

Den zweiten Teil des Faust hat Goethe in seinen letzten Lebensjahren geschrieben. Im fünften Akt lässt er einen Turmwächter mit dem griechischen Namen Lynkeus – zu deutsch „der scharfäugige Fuchs“ - von seiner hohen Warte aus die Welt betrachten: „Ich blick in die Ferne, ich seh in der Näh den Mond und die Sterne, den Wald und das Reh.“ Und in alledem erkennt er „die ewige Zier“. Sie gefällt ihm, und zugleich ist er mit sich selbst im Einklang.

 

Man sagt, im Lied des Türmers Lynkeus habe der alte Goethe die „lyrische Summe“ seines Werkes gezogen. Jedenfalls ist es ein wunderbares Bild des Schönen, das hier gemalt wird. Und es schwingt Dank mit, Dankbarkeit dafür, dass es das alles gibt – und dass es wahrgenommen werden kann. Theologisch gesprochen: Dankbarkeit für Gottes Schöpfung und dafür, dass ich selbst ein Teil dieser Schöpfung bin.

 

Ich weiß, dass es da jede Menge Einwände gibt: Schlagen Sie doch die Zeitung auf, hören Sie sich die Nachrichten an, und dann sagen Sie uns, wofür wir dankbar sein sollen!

 

„Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehn, es sei, wie es wolle,  es war doch so schön.“ Ich denke, der dankbare, mit sich selbst im Einklang stehende Blick auf die Welt, kann auch den Dingen standhalten, für die Dankbarkeit zu empfinden als Zynismus erscheinen muss. Denn Dankbarkeit muss keineswegs allein passives Hinnehmen des Schönen bedeuten, im Urlaub etwa auf einer Wanderung, am Strand eines tiefblauen Meeres, in den Gässchen einer malerischen Stadt. Dankbarkeit kann auch als Herausforderung zum Bessermachen verstanden werden: Zum Eintreten für die Erhaltung der natürlichen Landschaft,  für nicht bloß menschenwürdigen, sondern freundlichen Umgang mit dem Personal des Hotels, für bessere Lebensbedingungen der Menschen in der Altstadt, die so romantisch wirkt.

 

Wie gesagt, Goethe war kein frommer Mensch, auch nicht im Alter. Aber wäre es zu gewagt, die Worte seines Türmers als „weltlichen“ Hinweis auf eine entscheidende theologische Botschaft zu verstehen? Als Hinweis auf die Botschaft, die auch in der biblischen Dichtung, den Psalmen, mit ähnlichen Worten weitergegeben wird:

 

„Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott…“ (Ps 8,4-6)

 

Es ist nicht nur die Botschaft eines Glaubens, etwa des christlichen, es ist eine konkrete Erfahrung, die schon viele gemacht haben und die sie so interpretieren: Ich habe bei und trotz allem, was mit mir geschieht, mein Leben von Gott geschenkt bekommen. Dafür kann ich dankbar sein. Auf ihre Weise hat die Bibel diese Erfahrung zum Ausdruck gebracht, auf seine Weise hat sie der Dichter Johann Wolfgang von Goethe geschildert. Die Urlaubszeit gibt mir die Chance, diese Erfahrung ebenfalls zu machen. Und weitergeben kann ich sie am besten so, dass ich sie auch andere machen lasse.