Das Evangelische Wort

Sonntag, 09. 08. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Bernd Hof aus Innsbruck, Pfarrer im Ruhestand
 

 

Wissen Sie, woher es kommt, dass man sagt, jemand ist talentiert, er oder sie hat ein Talent? Das geht auf eine Stelle in der Bibel zurück, die heute in vielen evangelischen Kirchen zu hören sein wird. Da erzählt Jesus die Geschichte von einem Mann, der vor der Abreise seinen Angestellten sein Vermögen anvertraut – dem einen gibt er fünf Zentner Silber, dem zweiten zwei, dem dritten einen Zentner. So ein Zentner hatte damals ungefähr 41 Kilo. 41 Kilo Silber – das ist heute eine Menge wert, zur Zeit der ersten Christen war’s ein Vermögen. Und das griechische Wort für den Zentner ist - „Talent“.

 

Jesus erzählt nun weiter, der Chef kommt nach Jahren zurück, und die Angestellten müssen abrechnen. Da können die einen ihm doppelt so viel zurückgeben, weil sie mit dem Geld gut gewirtschaftet haben. Aber der, der nur einen Zentner bekommen hatte, erklärt: „Aus Angst vor deiner Härte und Strenge habe ich mich nicht getraut, ein Risiko einzugehen. Ich hab das Talent vergraben, da hast du es wieder.“ Sie können sich denken, wie sauer der Herr darauf reagiert.

 

„Traut euch, ihr braucht euch nicht zu fürchten. Unser Herr ist großzügiger, als ihr meint“, sagt Jesus mit dieser Geschichte zu seinen Leuten. Ich finde, diese Ermunterung können wir gerade in der jetzigen Lage gut brauchen.

 

Da sollten die Banken und Sparkassen mehr Kredite vergeben, damit es mit der Wirtschaft wieder bergauf gehen kann – aber so mancher Bankbeamte sagt im Zweifelsfall lieber Nein, wenn irgendein Risiko damit verbunden sein könnte. Oder da traut sich jemand nicht, sich krankschreiben zu lassen aus Angst um den Arbeitsplatz, und wird dadurch erst recht schwer krank. Da bestehen Eltern darauf, dass ihr Kind einen „sicheren“ Beruf erlernt – dabei gehen seine Interessen und Begabungen in eine ganz andere Richtung. Jammerschade!

 

Wie viel Talente, wie viel Möglichkeiten, wie viel Lebensfreude werden vergraben, versteckt, vergessen – so ein Jammer! Wie viel Leben wird nicht gelebt, es wächst die Einsamkeit und Frustration – Gott sei’s geklagt!

 

In diese Lage hinein sagt uns Jesus: „Traut euch, ihr braucht euch nicht zu fürchten. Unser Herr ist großzügiger, als ihr meint.“ Und will uns damit von einem belastenden Gottesbild befreien, von einem Gott, der hart und streng ist und vor dem wir zittern müssten. Der Gott, den uns Jesus nahe bringt, ist wie ein liebender Vater, der uns Freiheit schenkt und uns nicht fallen lässt, wenn wir Fehler machen oder gar scheitern – denken Sie bloß an die Geschichte vom verlorenen Sohn! Jesus will uns Mut zum Leben machen.

 

Darum: Wie wäre es, wenn wir uns auf die Schatzsuche machten nach den vergrabenen Möglichkeiten, Begabungen, Talenten – bei uns und bei anderen? Denn niemand ist ohne Talente - das ist meine feste Überzeugung - sie müssen nur entdeckt werden. Da singt jemand gern oder macht Musik – nimm dir Zeit dafür! Einer anderen liegt das Zeichnen oder das Schreiben – lass die Begabung nicht einrosten! Aber auch geduldig zuhören können ist eine Begabung, oder auch die Gastfreundschaft. Ein ansteckendes Lächeln kann Wunder tun, aber auch ein neugieriger Blick oder eine klare Analyse.

 

Natürlich, nichts und keiner ist vollkommen, und wer viel tut, macht auch viele Fehler. Aber den größten Fehler würde ich doch machen, wenn ich vor lauter Angst, einen Fehler zu machen, mein Talent vergraben, meine Möglichkeiten nicht nützen würde, sagt Jesus.

 

Keine und keiner von uns ist wie der andere, und gerade dadurch können wir gut füreinander da sein. Jede und jeder von uns hat Talente, Gott sei Dank – lasst sie fruchtbar werden: „Traut euch, ihr braucht euch nicht zu fürchten. Unser Herr ist großzügiger, als ihr meint.“