Das Evangelische Wort

Sonntag, 16. 08. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Matthias Geist

 

 

Ich kenn wen, der wen kennt, der wen kennt ... So helfen wir uns manchmal weiter. Ich zum Beispiel bin kein Heimwerker. Und bevor ich ungern und vor allem ungeschickt mit einer Bohrmaschine hantiere, frage ich doch lieber herum. Und bin froh, wenn jemand jemanden kennt, der mir dann hilft. Man sagt, es reicht sogar eine Kette von sechs oder sieben Menschen und wir sind über diese sechs oder sieben Ecken mit fast jedem auf der ganzen Welt verbunden. Fast unheimlich, wie eng wir zusammengehören. Und doch nur ganz wenige wirklich kennen. Und mich verstehen kann wohl keiner so richtig, mit meinen Interessen und meiner Sehnsucht. Richtig verzagt, wie ich es auch kenne, wendet sich der Beter des 38. Psalms an Gott.

 

Herr, du kennst all mein Begehren, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen. Mein Herz erbebt, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist auch dahin. Meine Lieben und Freunde scheuen zurück vor meiner Plage, und meine Nächsten halten sich ferne.

 

Fern sind mir alle, so fühlt sich das manchmal an. Warum wenden sich so viele einem unbekannten Gott zu, den es vielleicht gar nicht gibt? Ist da noch wer, der mich durch trägt, der mich anhört? In der Computerwelt, im Internet gibt es viel Kontakt miteinander und Hilfe untereinander. Wenn ich will, ist mein Name, ja mein Gesicht wie ein offenes Buch für alle Benutzer am Computer sichtbar. Und ich kann mich eintragen und suchen lassen oder selbst auf die Suche gehen. Freundschaften werden im weltweiten Netz – wie im gewohnten Alltag - abgebildet oder sogar gestiftet. Und die Reichweite ist enorm. Über drei Ecken findet man Kontakte, die im wahrsten Sinn des Wortes in die Millionen gehen. Irgendwo wird doch einer sein, der mich versteht, der meinen Gedanken teilt.

In einem Lied des deutschen Liedermachers Herbert Grönemeyer heißt es dazu: „Der Mensch heißt Mensch, weil er vergisst, weil er verdrängt,  und weil er schwärmt und stählt,  weil er wärmt wenn er erzählt, und weil er lacht, weil er lebt.“ Später meint Herbert Grönemeyer auch noch: „Der Mensch heißt Mensch, weil er irrt und weil er kämpft, und weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt, und weil er lacht und weil er lebt“ und noch weiter: „Der Mensch heißt Mensch, weil er erinnert, weil er kämpft und weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt und weil er lacht und weil er lebt“.

 

Eine enorme Reichweite, die „der Mensch“, die unsere Gattung hervorbringt. Und wir kennen all das, aber je verschieden, an unterschiedlichen Orten zu anderen Zeiten kämpfen und irren wir, lachen, leben, erinnern und erzählen wir. Jeder ganz besonders und einzigartig. Wo ich mich allein fühle und mich am liebsten verstecken möchte, da vergesse ich nämlich, dass wir so ähnlich sind. So wunderbar vielfältig und aneinander orientiert – so schwer fällt das Einfühlen, das Mitgehen. Ich möchte es mir vor Augen halten: Aus dem dunklen Ort hilft kein [facebook und] kein Internet heraus. Und selbst wenn ich über sieben Ecken zu allen Menschen auf dieser Erde finden würde, so führt mich niemand wie der, der mich von Anfang an und auch heute und morgen hört.

 

Ja gerade, wenn das Menschsein schmerzt, wenn ein Vertrauen gebrochen ist und mir die Sprache verschlägt, dann erkenne ich, wie das Beten eine andere Hoffnung weckt. Es erfordert Geduld, es weist mich über das Menschsein und alle Verstrickungen hinaus. Die unermessliche Reichweite Gottes zeigt sich, wenn wir beten wie der Psalmist:

 

Ich bin wie taub und höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Ich muss sein wie einer, der nicht hört und keine Widerrede in seinem Munde hat. Aber ich harre, HERR, auf dich; du, Herr, mein Gott, wirst erhören.