Das Evangelische Wort

Sonntag, 30. 08. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Renate Moshammer, Pörtschach/Kärnten

 

 

„Das Weihnachtsfest fängt im September an“ konstatiert Helga Duffek in einem ihrer Gedichte. Ich weiß – noch haben wir August. Noch genießen viele den Urlaub, den Sommer. Noch sind es fast vier Monate bis Weihnachten. Und doch – doch sitzt mir Weihnachten schon im Nacken. Mit allen Fragen, mit allen Fragwürdigkeiten, die das Fest immer wieder aufwirft. Warum? Weil dem heutigen Sonntag ein Bibelvers zugeordnet ist, der mich sonst eher in der Weihnachtszeit begleitet.

 

Der Prophet Jesaja schreibt: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.  Jes. 42, 3

So beschreibt Jesaja den „Knecht“, den Auserwählten Gottes. Bewahrend, behutsam, sanft. Und ich sehe das Kind in der Krippe vor mir. Ein Bild der Machtlosigkeit. Ein Bild wider die Gewalt.

 

Der Knecht Gottes – Nicht einmal das schon geknickte Rohr, nicht einmal den gerade noch glimmenden Docht zerstört er ganz. Und das – wie die Verbindung mit einem Sonntag im August zeigt – und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

 

Er selbst wird auch nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichtet, heißt es bei Jesaja weiter. Und ich sehe vor mir den Mann am Kreuz. Gequält, geschunden, zerbrochen. Ich sehe die Menschen durch die Zeiten, weit weg und direkt vor meiner Haustüre. Menschen, denen ihr Recht vorenthalten wird – bis heute. Das Recht auf ein Leben in Frieden, in Freiheit; mit einer gesicherten Existenzgrundlage, ohne Angst vor dem nächsten Tag.

 

Noch immer wird das Recht, noch immer werden Menschen mit Füßen getreten. Sogar ganz wörtlich auch bei uns, weil, wie uns Psychologen belehren, die Hemmschwelle immer niedriger wird. Weil der Bezug zu dem, was lebensfördernd oder lebenszerstörend ist, verloren geht. Weil gerade auch bei Streitereien unter Jugendlichen der, der am Boden liegt noch „ganz fertig gemacht“ werden soll. Zerstört bis ins Letzte. Ist das also unsere Welt?

 

Und ich sehe die glanzlosen, fast erloschenen Augen derer, für die die Worte des Propheten ferne, unerreichbare Träume sind.

 

„Das Weihnachtsfest fängt im September an“? Das Gedicht nimmt Bezug auf das Waren(über)angebot in den Geschäften, auf die Werbung, auf den Christbaumschmuck, den wir demnächst wieder kaufen können.

 

Das Wort des Propheten höre ich als Mahnung, als Auftrag auch an mich, an uns. Dass wir die Verheißung nicht abhaken als in der Scheinidylle eines zugigen Stalles zur Zeitenwende erfüllt, gefeiert an einem Abend im Jahr. Dass wir hellhörig sind für die leisen Stimmen, die von einem anderen Entwurf für menschliches Zusammenleben erzählen. Dass wir sehen, was wachsen kann – selbst noch aus Trümmern, dass wir den Luftzug spüren, der das Feuer entfacht. Dieses Feuer, das Licht, Wärme und Wegweisung gibt. Dass wir Heilung erfahren und uns auf das Heil einlassen. Dass wir beides hinein nehmen, mitten in unser Leben: Das Kind in der Krippe und den Mann am Kreuz.

 

Ja, es bleibt noch viel zerbrochen. Ja, das Dunkel erscheint immer wieder undurchdringbar. Aber der Prophet macht Mut, das nicht als unabänderlich und gottgewollt hinzunehmen. Er macht Mut, den Blick zu heben und hinter dem Kreuz auch das Licht des Ostermorgens wahrzunehmen. 

 

So können wir die Worte Jesajas hören – im Hochsommer genauso wie im tiefen Winter – weil sie zwar noch nicht unsere Wirklichkeit widerspiegeln, aber von unserer Hoffnung erzählen, die in einem Gott gründet, der das Leben wählt – auch für uns, denn das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.