Das Evangelische Wort

Sonntag, 13. 09. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Mag. Roland Werneck, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Wien

 

 

Heute wird in Wien der „Tag des Kindes“ gefeiert. In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto „Kinderrechte in die Verfassung!“ Es wird daran erinnert, dass die UNO-Generalversammlung vor 20 Jahren die Kinderrechtskonvention beschlossen hat. Verschiedene Organisationen wünschen sich seit Jahren, dass diese Sammlung der Grundrechte für Kinder in die österreichische Verfassung aufgenommen wird. Es geht um einen verbesserten Rechtsschutz für junge Menschen in unserem Land.

 

Kinder haben Rechte!

Mich betrifft diese Feststellung noch einmal ganz anders, seitdem ich vor knapp drei Monaten selbst Vater geworden bin. Als Vater bin ich zusammen mit meiner Frau unmittelbar für den Schutz und das Wohl meiner Tochter verantwortlich. Worin dieses Wohl im Einzelnen besteht, dafür gibt es keinen allgemein gültigen Katalog, keine Konvention. Im Moment geht es noch darum, dass die einfachsten Bedürfnisse erfüllt werden: Stillen, Wickeln, Anziehen, Waschen. Aber diese Bedürfnisse werden sich schnell erweitern, je größer unsere Tochter wird, und die Frage nach ihrem Wohl wird sich uns Eltern immer wieder neu stellen.

 

Die Zahl der Elternratgeber, die genau darauf antworten wollen, ist unüberschaubar. In unserer Gesellschaft, die sehr stark von Leistungsdenken und Konkurrenzdruck geprägt ist, macht sich dieser Druck auch bei vielen Eltern bemerkbar, wenn sie sich fragen, was für ihr Kind gut ist: „Sollen wir unser Kind für das Babyschwimmen anmelden, sollen wir es in einen mehrsprachigen Kindergarten schicken?“

 

Es ist fast wie ein Wettbewerb, wer seinem Kind von Anfang an mehr bieten kann. Und es ist gar nicht so leicht, dabei nicht mitzumachen.

 

Die evangelische Pfarrerin Christiane Kohler-Weiß hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Das perfekte Kind“. Sie nennt es eine „Streitschrift gegen den Anforderungswahn“. Sie zeigt darin auf, dass sich durch die steigende Leistungsorientierung unserer Gesellschaft in den letzten Jahren auch die Anforderungen an unsere Kinder radikal geändert haben. Das Konkurrenzdenken beginnt schon in den ersten Lebensmonaten. Eltern sind beunruhigt, wenn ihr Kind sich nicht exakt so entwickelt, wie es in den Ratgebern beschrieben ist. Ein perfektes Kind! Wer wünscht sich das nicht? Gesund soll es sein, intelligent, lebhaft, kreativ, hübsch. Und wenn sich irgendein Defizit zeigt, dann gibt es ja die Möglichkeit der speziellen Förderung. Viele Eltern haben Angst, dass ein Kind mit Schwächen im allgemeinen Konkurrenzkampf in der Zukunft nicht bestehen könnte.

 

Gerade im Umgang mit unseren eigenen Kindern zeigt sich in besonderer Weise, welche Grundeinstellung wir zu unserer Zukunft haben. Sind wir von der Angst geprägt, zu kurz zu kommen oder vom Vertrauen und der Hoffnung auf ein gutes Leben?

 

Als Christenmenschen dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott Ja sagt zu jedem einzelnen Kind, egal ob es gesund oder krank, schnell oder langsam ist, egal, welche besonderen Begabungen und welche Defizite es hat. Fördermaßnahmen und Therapien können wichtig sein, aber das Wichtigste ist, dass unsere Kinder dieses Ja zum Leben immer wieder neu selbst erfahren und spüren können. Wenn Eltern ihren Kindern mit dieser Grundhaltung begegnen, dass sie geliebt und angenommen sind, sprechen sie dieses Ja Gottes weiter.

 

In der Bibel macht uns der Prophet Jeremia Mut, hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“

 

Diese liebevolle Zusage gilt besonders auch dann, wenn einmal nicht alles perfekt läuft, wenn wir uns Sorgen machen um die Entwicklung unserer Kinder.

 

Kinder brauchen Rechte und gute Gesetze in unserer Welt. Kinder müssen geschützt werden vor Diskriminierung und Gewalt. Kinder müssen aber auch geschützt werden vor den übertriebenen Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft. Kinder brauchen das Gefühl, so geliebt zu werden, wie sie sind – mit allen Schwächen und Defiziten.

 

 

Buchtipp:

Christiane Kohler-Weiß, Das perfekte Kind. Eine Streitschrift gegen den Anforderungswahn. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2008