Das Evangelische Wort

Sonntag, 04. 10. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Olivier Dantine

 

 

Dankbarkeit gehört zum guten Ton. Wer wohl erzogen ist, sagt lieber einmal zu viel als zu wenig „Danke“. Wer jemandem etwas Gutes tut, erwartet Dankbarkeit. Und doch oder gerade deshalb birgt das kleine Wort „Danke“ so manche Stolpersteine.

 

Die Zeiten sind glücklicherweise vorbei, an denen sich Kinder bei ihren Eltern oder Lehrern für Prügel zu bedanken haben. Und doch kann die Erwartung der Dankbarkeit zu einer Keule werden. Wenn aufgerechnet wird, wofür alles der oder die eine dem Partner Dankbarkeit schuldet, dann ist eine Beziehung schon höchst gefährdet. Aber auch in Kirchen und in anderen Organisationen, die auf ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen sind, kann es in der Hinsicht schwierig werden. Denn was viele ehrenamtliche alles leisten, dafür kann es nie genug Anerkennung und Dankbarkeit geben. Wer viel mit ehrenamtlichen zusammen arbeitet, kennt dieses Minenfeld: Allzu oft wird auf das Bedanken für freiwillige Tätigkeiten vergessen, und ein eingefordertes und nachgeholtes „Dankeschön“ wirkt, wenn es denn kommt, dann nicht mehr so aufrichtig.

 

Es scheint, als hätten die Erfinder der Dankbarkeit nicht bedacht, wie belastend sie sein kann. Aber Dankbarkeit soll doch nicht belasten, ganz im Gegenteil!

 

In vielen Kirchen wird heute das Erntedankfest gefeiert. Es macht durchaus Sinn, dass dieses alte Fest nicht nur in bäuerlich geprägten Gemeinden gefeiert wird. Denn die Dankbarkeit zu diesem Fest erstreckt sich nicht allein auf die eingebrachte Ernte. Erntedank feiern heißt, überhaupt für jede Lebensgrundlage zu danken.

 

Indem Christinnen und Christen Dankbarkeit zeigen, machen sie sich bewusst, dass Menschen sich die Grundlage für das eigene Leben nicht selbst schaffen. Auch wenn wir selbst manches für unser Leben erarbeiten können, es ist nicht unser Verdienst, dass wir leben, es ist nicht unser Verdienst, dass wir genug zum Leben haben. Dankbarkeit in diesem Sinn ist ein Gegenpol zu einer Haltung, die sich in so Sätzen ausdrückt wie: „Leistung muss sich lohnen.“ Im Grunde ist es doch so: Wenn wir nur das zum Leben bekämen, was wir auch verdient haben, dann wären wir ganz schön arm dran. Wer kann schon so viel leisten, dass er sich das Leben verdient?

 

Wenn Dankbarkeit das Anerkennen dessen ist, dass unser Leben ein unverdientes Geschenk ist, dann ist Dankbarkeit gerade nichts Belastendes, ganz im Gegenteil. Denn das Prinzip Dankbarkeit ist das Gegenprinzip zum Prinzip Leistung. Wir müssen keinem Leistungsdruck standhalten, wir können unser Leben als Geschenk aus Gottes Hand dankbar annehmen und befreit aufleben.

 

Dankbarkeit ist aber auch aus einem anderen Grund wichtig: Wenn die ausreichende Lebensgrundlage nicht verdient wird, dann gilt dies umso mehr für den Mangel. Nicht einmal der größte Zyniker würde wohl behaupten, die geschätzten sechs Millionen Kinder, die jedes Jahr weltweit verhungern, hätten dies verdient. Dieser massenweise Hungertod ist aber auch nicht einfach Schicksal. Er hat mit Ungerechtigkeit zu tun. Ungerechtigkeit nicht nur bei der Verteilung von Gütern, sondern auch bei den Chancen zur wirtschaftlichen Entwicklung betroffener Länder. Wenn ich in einem reichen Land mich dazu bekenne, mein Glück nicht verdient zu haben, dann kann ich nicht so tun, als ginge mich die Not von Menschen am anderen Ende der Welt, oder auch die Armut in meiner nächsten Umgebung nichts an, dann darf ich nicht einfach so tun, als könnte ich eh nichts an ihrer Lage ändern.

 

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! (Jesaja 58, 7)

 

Dieser Vers aus dem Prophetenbuch Jesaja ist nicht zufällig in den lutherischen Kirchen für das Erntedankfest vorgeschlagen. Denn das Erntedankfest ist auch das Fest des Teilens. Erntedank heißt: Weil ich reich beschenkt bin, kann ich an der Welt etwas ändern. Ich kann beim Einkauf auf fair produzierte und gehandelte Waren achten, ich kann zumindest einen Teil meines Geldes an Instituten anlegen, die mit dem eingezahlten Kapital Mikrokredite an bisher chancenlose Menschen vergeben, ich kann mit meiner Spende Sozial- und Entwicklungshilfeprojekte unterstützen. So kann auch ich dazu beitragen, dass allen Menschen eine Chance gegeben wird. Und das, ohne selbst Dankbarkeit zu erwarten, sondern einfach, weil ich dankbar bin.