Das Evangelische Wort

Sonntag, 11. 10. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Gabriele Lang-Czedik aus Wien-Liesing

 

 

Wie man als Pfarrerin in die oft dramatischen Schicksale von Menschen hineinschauen kann, wie sich daraus ein Engagement entwickeln kann, sogar ein interreligiöses, das habe ich heuer in besonderer Weise erleben können.

 

Im Juni dieses Jahres hat da ein 5-jähriger Bub in Wien zu seiner Mutter gesagt: „Bitte, Mama, wenn Du mich das nächste Mal im Kinderheim besuchen kommst, dann bring nicht diese kleine Tasche mit Geschenken mit! Sondern bring eine große leere Tasche mit, in der Du mich verstecken kannst und dann nimm mich schnell mit heim!“ – „Das würde ich ja gern, mein Schatz, aber ich darf nicht.“, muss die 30-jährige, herzliche Frau ihrem kleinen Sohn antworten.

 

Seit einigen Monaten bin ich mit der hübschen, muslimischen Mutter befreundet. Sie hat noch 3 weitere Kinder, ein 3-Jähriges, ein fast 2-Jähriges und ein Neugeborenes. Die sind seit Mai einzeln verteilt auf Pflegefamilien. Die junge Mutter kann sie in Abständen für eine Stunde besuchen kommen.

 

Bis ich sie kennen gelernt habe, habe ich wenig gewusst davon, was allein-erziehenden Müttern in Österreich passieren kann, wenn sie vom Jugendamt als „überfordert“ eingestuft werden. Die Mutter und ihre Kinder sind anerkannte Flüchtlinge in Österreich, auf Deutsch kann sich die junge Frau inzwischen schon recht gut verständigen. Im letzten Jahr hat sie es geschafft, den Vater ihrer Kinder zu verlassen, weil er gewalttätig war – ihr gegenüber und auch einem der Kinder gegenüber. Die junge Frau hat all ihren Mut aufgeboten und ist mit ihren 3 Kindern und schwanger mit dem 4. ins Frauenhaus gezogen. Von dort wurde sie einige Monate später in ein Mutter-Kind-Heim überstellt. Da wurde sie tatkräftig unterstützt mit Kinderbetreuung, Amtswegen, Arztbesuchen. Aber sie war so erschöpft von den Misshandlungen einerseits, von den laufenden Schwangerschaften und den langen Stillzeiten andererseits, dass sie immer noch überfordert gewirkt hat. Da kam es zwei Tage vor der geplanten Kaiserschnitt-Geburt zur Abnahme ihrer drei Kinder durch das Wiener Jugendamt. Die junge Mutter fiel vor Schreck in Ohnmacht, weinte danach, flehte, wollte ihre Kinder zurück haben. Dann ging sie ins Spital und brachte dort ihr 4. Kind zur Welt, sie stillte es sofort voll und pflegt es liebevoll. Nur wegen einer geplanten und dann verschobenen Herzuntersuchung des Babys wurde sie einmal nervös und laut. Da wurde ihr am 10. Lebenstag des Kindes gesagt: „Stillen Sie Ihr Kind noch einmal und verabschieden Sie sich von ihm. Sie werden es jetzt lange nicht oder nie mehr sehen.“ Dann wurde ihr auch dieses Baby abgenommen. Wieder brach die junge Frau verzweifelt zusammen. Dann wurde sie in anderes Frauenhaus geschickt. Sie solle nun in Ruhe deutsch lernen oder auch auf Urlaub fahren, sie sei ja jetzt eine Frau ohne Kinder und habe viel Zeit…

 

Drei Tage saß sie weinend in ihrem Zimmer im Frauenhaus, konnte nichts essen und wollte nur noch sterben. Dann rief sie ihre einzige Freundin in Wien an und diese mich. Das war zu Pfingsten dieses Jahres. Seit da gehe ich mit der jungen Frau zu Ämtern und Behörden, berate sie und kontaktiere mit ihr Anwältinnen und Gerichte.

 

Begleitend war mir wichtig, ein Helfer-Netzwerk aufzubauen aus meiner Pfarrgemeinde, aus der Wiener Evangelischen Stadtdiakonie und der Bezirksleitung. Zusätzlich habe ich Kontakt aufgenommen mit der muslimischen Gemeinde vor Ort, die sich sofort auch zu laufender Hilfe für die junge Mutter und in Zukunft auch für ihre Kinder zur Verfügung gestellt hat. Eine Reihe von Übersetzerinnen haben wir gefunden und bezahlen sie auch, sodass die junge Frau keine Sorge mehr vor schwierigen Verhandlungen haben muss. Sogar ein Mitglied des Präsidiums der islamischen Gemeinschaft Österreichs steht inzwischen hinter der jungen Mutter. Wir sind in laufenden guten Gesprächen mit dem jetzt zuständigen Jugendamt und seinen engagierten Mitarbeitern. Wir haben für die junge Frau eine Wohnung gefunden und adaptiert und garantieren, dass wir uns auch langfristig um die junge Familie kümmern wollen – als interreligiöses Helfer-Team.

 

Und jetzt seit Anfang Oktober bewegt sich etwas. Das Gericht empfiehlt dem Jugendamt, die Kinder ihrer Mutter zurück zu geben und dann nur noch laufend Kontroll-Besuche zu machen. Bei dieser Nachricht sind wir uns alle lachend und weinend in die Arme gefallen: Muslimas und Christinnen, vereint in unserem Engagement für diese Familie.

 

Vielleicht darf ja der 5-Jährige jetzt schon bald von seiner Mutter in einer großen leeren Tasche mit heim genommen werden...