Das Evangelische Wort

Sonntag, 15. 11. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Vom Gebet“

von Pfarrer Mag. Werner Geißelbrecht (Christuskirche Innsbruck)

 

 

„Beten hilft nichts!“ Das glaubt zumindest Tom Sawyer. Seine Tante hat ihm einen Angelhaken geschenkt. Daraufhin betet er inbrünstig, von irgendwo her auch noch eine Angel dazu zu bekommen. Drei Tage später hat er immer noch keine Angel. Und damit ist für ihn klar: „Beten hilft nichts!“

 

Wir mögen schmunzeln über diese kleine, liebenswerte Geschichte. Aber sie rührt doch an eine gewichtige Frage. Hilft es – oder hilft es nicht, wenn wir beten, wenn wir uns an Gott wenden mit einem Wunsch, mit einer Bitte, in einer akuten Bedürftigkeit? Es gibt ja beide Erfahrungen: Dass Bitten erhört, Wünsche erfüllt und eine Not gewendet wird. Und auch: Dass Gebete scheinbar ins Leere gehen, dass sich nichts tut und alles bleibt, wie es ist.

 

Wie viel Kraft haben Menschen schon geschöpft, weil sie gebetet haben, wie viel Leid ist schon gemildert worden, wie viele Wunder sind geschehen? Und wie verzweifelt waren schon manche, weil sie gebetet haben für sich oder für ihre Lieben und es hat doch nichts geholfen? Hilft beten?

 

Die Antwort hängt natürlich ganz stark davon ab, was ich mir denn erwarte von meinem Gebet: Geht’s mir nur darum, Gott mitzuteilen, was er für mich tun soll? Dann beurteile ich den Erfolg meines Betens ganz einfach danach, ob eintritt, was ich mir gewünscht habe.Oder ist mein Blick weiter, sind meine Erwartungen größer, geht es mir um mehr, um viel mehr, als Gott zu informieren über das, was ich will?

 

Was tun wir denn eigentlich, wenn wir beten? Wir sammeln uns. Wir unterbrechen unsre Routine, halten inne und werden achtsam. Wir nehmen uns selbst tiefer wahr, so wie wir sind im Augenblick, mit unserer Freude und unserer Not, mit unseren Schatten, mit unserem Licht. Wir werden uns unserer Sehnsucht bewusst, unserer Ziele, Träume, Visionen. Wir sind aufmerksam und voller Erwartung. Wir sind ganz bei uns selbst und bleiben doch nicht gefangen im eigenen Ich, sondern treten in Beziehung. Gott kommt als Gegenüber in den Blick, ein Dialog entsteht. Wir reden ihn an, wir sprechen aus, was uns bewegt. Wir formulieren unsere Wünsche, unsere Bitten und wissen sie gut aufgehoben bei ihm. Wir üben uns im Vertrauen, dass wir zutiefst geborgen sind und getragen – von einer guten Macht, die uns kennt und die uns liebt. Wir halten fest an der Hoffnung, dass alles gut werden kann, auch wenn’s im Moment gar nicht so aussieht. Und vielleicht gelingt es uns auch, während wir beten, gelassener zu werden im Umgang mit den eigenen Wünschen, die Sorge um uns selbst zumindest ein Stück weit loszulassen, und innerlich einzustimmen in die Worte von Jesus: „Dein Wille geschehe“.

 

Wenn wir beten geschieht weit mehr als die Übermittlung einer Information. Und je umfassender wir unser Beten verstehen, je mehr wir uns davon erwarten, umso reicher werden auch die Erfahrungen sein, die wir mit unserem Beten machen.

 

Ich glaube, es geht nicht nur darum, ob meine Bitte ankommt bei Gott und bei ihm auslöst, was ich mir erwarte. Es geht nicht so sehr um eine Handlung, die den gewünschten Erfolg bringt – oder auch nicht. Ich glaube, es geht vielmehr um eine Haltung, die ich einnehmen kann, eine im Glauben gewonnene Haltung, die etwas auslöst in mir, die mich verändert, verwandelt und heilt.

 

Ein Bildwort finde ich wunderschön: „Wende dich der Sonne zu, und die Schatten fallen hinter dich“.

 

Sammle dich und richte dich neu aus – Gott entgegen – und dir ist schon geholfen. Was auch immer dann noch werden mag aus deinen Wünschen und Bitten, Du bist schon verändert, verwandelt, geheilt im Augenblick deines Gebets.