Das Evangelische Wort

Sonntag, 22. 11. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Elisabeth Kluge

 

 

Der heutige Sonntag, der letzte Sonntag des Kirchenjahres, wird in evangelischen Pfarrgemeinden als „Ewigkeitssonntag“ begangen oder auch als „Totensonntag“ bezeichnet. Heute gedenken wir der Menschen, die in den vergangenen zwölf Monaten von uns gegangen sind. In unseren Gottesdiensten werden an diesem Tag ihre Namen nacheinander verlesen. Anschließend wird ein Gebet gesprochen oder ein Lied gesungen. Ein Gebet oder ein Lied, das den Gedanken aufnimmt, dass unser Leben auf dieser Erde ein vergängliches ist. Auch die Hoffnung soll darin zum Ausdruck kommen, dass wir nach unserem Tod auf ein ewiges Leben bei Gott vertrauen dürfen.

 

Auf den Friedhöfen, auf denen ich als Pfarrerin Verstorbene beerdige, gibt es viele Gräber und Urnen. In ihnen finden verstorbene Menschen ihre letzte Wohnung. Aber diese Gräber und Urnen – das sind nur die letzten Wohnungen für uns auf dieser Welt. Wenn ich darüber nachdenke, wie das Leben im Himmel bei Gott nach meinem Tod ausschauen kann, dann stelle ich es mir auch ein Stück weit wie das Leben in einem großen Haus vor. Ein großes Haus, das Gott gehört, und in dem es viele Wohnungen gibt. Gott lädt mich ein, in diesem Haus zu wohnen – nach meinem Tod. Ich bin dorthin eingeladen – aber nicht als Gast, um nur für ein paar Tage auf Besuch zu kommen und dann wieder zu gehen. Sondern ich stelle mir vor, dass Gott mich dorthin einlädt, um ewig, in Frieden, Ruhe und Geborgenheit dort bei ihm wohnen zu können.

 

Die Einladung dafür, die spricht Gott schon aus, wenn ich noch lebe. Durch seinen Sohn Jesus Christus erhalte ich diese Einladung, wenn Jesus sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer mich annimmt, wird leben, auch wenn er stirbt, und wer lebt und sich auf mich verlässt, wird niemals sterben.“ Diese Worte von Jesus klingen für unsere Ohren heute vielleicht vollkommen unverständlich. Wie soll denn der leben, der stirbt? Wie soll denn der nie sterben, der lebt?

 

Jedes Mal halte ich mir den Widerspruch dieser Worte Jesu vor Augen, wenn ich Hinterbliebene beim Tod eines geliebten Menschen begleite. Ich weiß ja selbst auch, dass jede und jeder von uns einmal sterben wird, einmal sterben muss. Und doch kann ich als Christin und als Pfarrerin auch Hoffnung und Trost an einem offenen Grab mitgeben. Denn ich vertraue ganz fest darauf, dass Gott diese Trauer sieht. Diese Trauer, die Menschen aushalten müssen, wenn ein geliebter Mensch sie verlässt und stirbt. Deshalb hat Gott seinen Sohn Jesus Christus auch in diese Welt zu uns Menschen geschickt. Als Jesus starb, war mit seinem Tod aber sein Leben nicht zu Ende. Er ist vom Tod auferstanden, sein Grab war leer am nächsten Tag. Er ist aufgebrochen in den Himmel – zu einem neuen Leben, einem ewigen Leben mit Gott, seinem Vater. Sein Leben ist nur in dieser Welt zu Ende gegangen. Und diese Auferstehung Jesu hinein in ein neues und ein ewiges Leben – das schenkt Gott auch uns. Weil wir getauft sind, gehören wir zu ihm. Dadurch bekommen wir auch Anteil an dem, was mit Jesus bei der Auferstehung geschehen ist.

 

Ich stelle mir weiter vor, dass in diesem Haus Gottes in der Ewigkeit auch einmal all die Menschen nach ihrem Tod leben werden, die ich gern gehabt habe, mit denen ich ein Stück meines Lebensweges gegangen bin und die ich dann dort wieder sehen darf. Gott hält in seinem Haus mit den vielen Wohnungen ganz bestimmt auch eine Wohnung bereit für ein liebes und treues Gemeindeglied, das ich vor bald drei Monaten beerdigen musste. Und deswegen dürfen wir, die wir in unserer Pfarrgemeinde und in ihrer Familie traurig sind über ihren Tod, auch darauf vertrauen, dass sie bei Gott geborgen ist und dass er sie liebevoll an der Hand nimmt und ihr ihre neue Wohnung in seinem Haus zeigt. Da bin ich mir ganz sicher. Dort darf sie weiter leben – auch wenn sie jetzt hier bei uns auf dieser Erde nicht mehr sein kann und nicht mehr sein wird. Aber sie lebt dort weiter in Gottes Nähe und auch in uns – jedes Mal, wenn wir an sie denken, wenn wir uns an sie erinnern, wenn wir über sie sprechen – ganz besonders an diesem Ewigkeitssonntag.