Das Evangelische Wort

Sonntag, 13. 12. 2009,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfr. Harald Kluge

 

 

20 Jahre ist es jetzt her. Da hat mir einer meiner besten Schulfreunde kurz vor der Matura bei einem Krügerl Bier gestanden: „Du, wenn ich in zwei Jahren mit 20 nicht weiß, wo mein Platz im Leben ist, bring ich mich um.“ Er war ein in allen Fächern ausgezeichneter Schüler. Und für uns in der Klasse war er ein lebenslustiger, gescheiter und leiwander Freund mit enorm viel Potential, die Welt zum Guten zu verändern.

 

Sein Leiden am Leben, seine Verzweiflung hat man ihm nicht angesehen. Und davon gesprochen hat er mir gegenüber nur an diesem einen Abend vor 20 Jahren. Erst drei Jahre später habe ich erfahren, dass er es ernst gemeint hat.

 

Ich frage mich: Warum schließen so viele Menschen vorzeitig mit ihrem Leben ab? Was bringt junge Mädchen und Burschen und auch Erwachsene dazu, frühzeitig aus dem Leben scheiden zu wollen? Wie groß muss die Verzweiflung dann schon sein?

 

Die Verzweiflung kann jeden von uns packen. Von der Kindheit über die Pubertät, bis ins Erwachsenenalter. Liebeskummer, Arbeitsplatzverlust, Erfahrungen des Scheiterns, Unfälle und Todesfälle, Trauer, düstere Zukunftsprognosen und Depressionen. Verzweifelt sind wir dann, wenn wir momentan nichts mehr vom Leben erwarten. Wenn wir mit dem Leben, so wie es uns vorkommt, abgeschlossen haben. Das Gefühl der Verzweiflung wirft uns dabei aus unserer Lebensbahn. Was manche dann sich selbst oder anderen antun, wirkt oft verrückt, nicht nachvollziehbar. Und wen die Verzweiflung packt, dessen gesamter Blick aufs Leben wird auch ein Stück weit verrückt. Man verliert den wichtigen Halt im Leben. Die innerlichen Schmerzensschreie sind dabei oft kaum wahrnehmbar. Man muss dann schon ganz genau hinhören und seinem Mitmensch ins Gesicht, in die Augen schauen. Nur, nicht allen steht ihre Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Wir lernen früh, es zu kaschieren, wenn es uns nicht gut geht.

 

Als Lehrer merke ich, dass Kinder und Jugendliche meist den Eindruck haben, dass ihre Eltern kaum wissen, wie es in ihnen drin wirklich aussieht. Aber Kinder wiederum wissen fast nie, wie es ihren Eltern wirklich geht. Meist haben wir nur eine verkümmerte und seichte Sprache, um über unser Innen- und Seelenleben zu sprechen. Eine Kultur des Aussprechens wäre da enorm hilfreich. Es wäre wirklich toll, wenn es ganz normal möglich wäre, konstruktiv und effektiv mit unseren Gefühlen von Verzweiflung umzugehen. Über Probleme zu reden und Ängste auszusprechen, kann schon der erste Weg zur Lösung sein. Denn dann bin ich nicht mehr allein. Mir hört jemand zu und jemand versucht mich zu verstehen.

 

Religionen haben im Leben der Menschen sowohl Verzweiflung ausgenutzt, als auch versucht sie dort, wo sie aufkeimt, zu bekämpfen. In der Bibel lesen wir etwa häufig von Frauen und Männern, die so viel ertragen müssen, dass sie sogar am Leben verzweifelten. Gott lenkt unseren Blick auf sie. Gott will, dass wir uns an ihre Seite stellen, zuhören, mit ihnen reden und gemeinsam einen erwartungsvollen Blick aufs Leben suchen.

 

Wir sollten immer mit Erwartungen leben, nie vorzeitig mit dem Leben und den Gegebenheiten abschließen. Niemand darf uns weismachen, es gäbe nicht immer auch viele gute Gründe für Hoffnung. Wir können uns das nie oft genug vor Augen führen. Wir dürfen etwas für unser weiteres Leben erwarten. Nur müssen wir manchmal intensiver danach Ausschau halten. Jetzt in der Adventzeit wäre ein guter Zeitpunkt dafür.