Das Evangelische Wort

Sonntag, 03. 01. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Bischof Michael Bünker

 

 

Jedes Jahr wird eine Bibelstelle als „Jahreslosung“, als Leitwort für das Neue Jahr ausgewählt. Für 2010 ist es eine Stelle aus dem Johannesevangelium. Sie lautet:

 

„Jesus Christus spricht: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“

 

Im Internet finde ich eine Umfrage unter jungen Menschen. Was heißt für dich glauben? Die Antworten sind vielfältig.

Einer meint: Ich bin absolut ungläubig. Das sind doch alles Erzählungen, die durch Mund-zu-Mund-Propaganda dauernd verändert wurden. Ich glaube nur, was man handfest belegen kann.

Ein anderer: Glauben heißt etwas für wahr halten, ohne dass es unbedingt logisch oder rational erklärbar ist.

Eine dritte Meinung: Glauben heißt für mich, dass man sich etwas so schrecklich stark wünscht, dass es einfach wahr sein muss und dass man ohne diese Gewissheit in sich zu spüren sehr unglücklich wäre!

Und ganz am Ende steht zu lesen: Was heißt für dich glauben? Ist wirklich die blödeste Frage, die ich je gelesen habe, seit ich hier im Chat bin.

 

Ist es wirklich eine blöde Frage? Die unterschiedlichen Antworten zeigen, dass mit dem Wort „Glauben“ sehr Verschiedenes gemeint sein kann. Zuerst einmal einfach das Für-wahr-Halten. „Ich glaube, dass…“ Dann, wenn wir jemandem etwas glauben: „Ich glaube dir“. Das deutsche Wort „glauben“ bedeutet ursprünglich so viel wie vertrauen, zustimmen, erlauben. Noch interessanter ist die Bedeutung des lateinischen Wortes „credere“. „Credo“ heißt „Ich glaube“. Es leitet sich her von den Begriffen „cor“ (=Herz) und „dare“ (=geben). So gesehen hat Glaube mit herzlichem Vertrauen zu tun und ist eine Herzenssache – nicht nur eine des Kopfes!

 

Wer glaubt, verlässt sich auf Gott, und zwar so sehr, dass das ganze Leben davon bestimmt ist. Dieses Vertrauen geht immer über mich hinaus, Glaube braucht ein Gegenüber.

Martin Luther hat gemeint: Woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott. Das bestimmt dich grundlegend. Aber nicht alles, woran Menschen ihr Herz hängen, verdient unbedingtes Vertrauen! Luther nennt da das Geld, die Wissenschaft, die Macht, Einfluss und Ehre, eigene Wohltätigkeit und ein vorbildliches gelungenes Leben, an all das können Menschen ihr Herz hängen, aber wenn sie das zur Grundlage ihres unbedingten Vertrauens machen, dann haben sie keinen Gott mehr, sondern einen Götzen, keinen Glauben, sondern Aberglauben.

 

Freilich bleibt ein solcher Glauben nie ohne Anfechtung. Er ist immer auf der Suche nach diesem Gegenüber, dem er Vertrauen schenkt. Ein Wagnis, ein Abenteuer, das Totalrisiko des Lebens. Paradoxerweise erfährt erst der den letzten Halt, der den Sprung wagt. Karl Rahner hat einmal unübertroffen formuliert: „Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten.“

 

Es ist auffällig, dass in der Jahreslosung, in der Stelle aus dem Johannesevangelium zweimal vom Glauben die Rede ist. Einmal heißt es: Glaubt an Gott! Und dann wird gleich fortgesetzt: Und glaubt an mich. Erst der Glaube an Jesus Christus macht dieses Vertrauen zum christlichen Glauben. 73 % der Österreicher und Österreicherinnen glauben irgendwie an eine geistige Macht, an ein höheres Wesen. Irgendwas muss es doch geben, denken viele und: an irgendwas muss der Mensch ja glauben.

Christlicher Glaube meint nicht irgendwas Unbestimmtes, von dem man nichts Genaues wissen kann und worüber man nichts Verlässliches sagen kann, christlicher Glaube meint den menschgewordenen Gott. Meint Jesus Christus. In ihm ist Gott selbst ein Wagnis eingegangen, nämlich als Mensch unter Menschen zu leben. In Jesus hat Gott den Sprung getan, das Risiko auf sich genommen. Das Kreuz scheint zu bestätigen: Dieses Risiko ist zu hoch. Es ist lebensgefährlich, unter Menschen zu leben. Die Auferstehung streicht das nicht durch. Aber sie macht deutlich: Dennoch ist es genau dieser Weg der unbedingten Menschlichkeit, der sich in einem letzten Sinn bewahrheitet.

 

Dieser Glaube schenkt Gewissheit und Mut, er ist die Quelle eines aufrechten, freien Lebens. Die Schrecken, die das Herz in Unruhe versetzen, weichen. Sie machen den Weg frei für den menschlichen Weg durch das Neue Jahr.