Das Evangelische Wort

Sonntag, 10. 01. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Dr. Jutta Henner

 

 

In diesen winterlichen dunklen Tagen gehen meine Gedanken immer wieder in den Libanon. Vor einigen Wochen war ich dort in diesem Land der Bibel. Ich staunte über all das, was ich sehen, hören und erleben durfte.

 

Beim Stichwort „Libanon“ werden Sie vielleicht an den jahrelang dauernden Bürgerkrieg ab 1975 denken, an politische Instabilität oder den kurzen Krieg im Sommer 2006. Äußerlich ist davon kaum noch etwas zu bemerken, in Gesprächen spürt man freilich noch Ängste und Verletzungen, die Menschen geprägt haben.

 

Ich war aber im Libanon unterwegs in Sachen Bibel. Und da hat der Libanon als historisches Land der Bibel einiges zu bieten: Schließlich verdankt sich bereits der Name „Bibel“ für die heilige Schrift der Christen letztlich der Küstenstadt „Byblos“ im heutigen Libanon. In dieser Stadt gab es in der Antike einen blühenden Handel mit Papyrus - und so wurden bald Schriftrollen bzw. Bücher nach dem Ort benannt; später wurde das dann die Bezeichnung für das Buch der Bücher. Dass das Alphabet, eine der Voraussetzungen dafür, dass die in der Bibel enthaltenen Traditionen überhaupt verschriftlicht werden konnten, von den einst im Libanon ansässigen Phöniziern entwickelt wurde, könnte man hier ebenfalls anführen. Selbst nicht mit der Bibel Vertraute können mit den „Zedern des Libanon“ etwas anfangen. So oft ist in der Bibel von der immergrünen und mächtigen Zeder die Rede, wie beispielsweise im 92. Psalm, wo es heißt: Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon.

 

Ja, das duftende Holz der gewaltigen Zedern war auch ideales Baumaterial - das wusste bereits König Salomo, der für den Bau seines Tempels in Jerusalem Zedernholz, und dazu auch gleich qualifiziertes Bau-Personal importierte.

 

Ich könnte die Hafenstädte Tyrus und Sidon im Süden des Landes erwähnen. Jesus selbst war mehrfach in dieser Gegend unterwegs. Von einer denkwürdigen Begegnung Jesu mit einer „ausländischen“, aber in dieser Region heimischen Frau, die im Gespräch mit Jesus Überzeugungskraft beweist, ist im Neuen Testament nachzulesen.

 

Ich könnte noch manches erzählen: Die Bibel wird lebendig, wenn man auf ihren Spuren in den Ländern des Nahen Ostens und Mittelmeerraumes, gleichsam an den „Originalschauplätzen“ unterwegs ist.

 

Doch mir ging es bei meiner Reise nicht primär um die zugegebenermaßen bedeutende „biblische“ Geschichte des Libanon. Es ging mir auch nicht vorrangig um neue vertiefte geistliche Einsichten. Auch wenn ich natürlich beides erlebte. Mich interessierte vielmehr, was sich rund um die Bibel heute im Libanon tut. Mich interessierte die Rolle der Bibel im Leben der Christen im Libanon. Ich gestehe: Ich bin bis heute überwältigt von der Gastfreundschaft und Offenheit der Christinnen und Christen im Libanon. Sie hat mich biblische Erzählungen über Gastfreundschaft ganz neu verstehen gelehrt. Ich war auch vom Selbstbewusstsein der Christinnen und Christen im Libanon positiv überrascht. Mag sein, dass die komplizierte gesellschaftliche Struktur, in der man einer von 18 Religionen, bzw. Konfessionen angehören muss, dazu beiträgt. Bei der jüngsten Debatte um störende Kreuze in Europa musste ich aber immer wieder an all die nächtens mit Lichterketten hell erleuchteten Kreuze denken, die die Kirchen im Libanon in - zugegebenermaßen fast schon kitschiger - aber weithin sichtbarer Weise im Stadtbild betonten. Und all das schließt keinesfalls die Bereitschaft zum Dialog zwischen den Religionen aus! Dialog und Zeugnis gehören aber für Christinnen und Christen im Libanon zusammen! Leidenschaftlich wird es verkündet und glaubwürdig gelebt: Die Bibel hat eine einzigartige Botschaft der Liebe und Versöhnung.

 

Die Christen im Libanon, wie überhaupt im Nahen Osten, werden zahlenmäßig immer weniger. Viele sind schon ausgewandert nach Europa oder nach Nordamerika. Für die im Land verbleibenden Christinnen und Christen, gleich welcher Konfession, ist die Bibel von zentraler Bedeutung! Wenn es, wie zur Zeit, um die Revision der am weitesten verbreiteten traditionellen arabischen Bibelübersetzung geht, finden sich Theologen der verschiedenen Konfessionen zusammen und arbeiten gemeinsam daran. Ja, die Arbeit der Bibelverbreitung wird mit Engagement von allen christlichen Kirchen getragen. Das hat mich beeindruckt! Die Bibel ist präsent in Kirchen, Schulen und Familien. Ist das wirklich nur so, weil der Libanon eben schon in der Bibel vorkommt? Ist es nur die Situation der Bedrängnis, die unsere Solidarität verdient? Immer wieder hörte ich es von begeisterten Vertretern der Kirchen: „Wir brauchen die Bibel. Ihre Botschaft gibt uns Hoffnung. Sie ist wichtig für uns, für die Menschen, für Jung und Alt. Die Botschaft der Bibel ist auch wichtig für unser Zusammenleben in der Gesellschaft.“ Ich frage mich - sollte das wirklich nur für den Libanon gelten, nur für den Nahen Osten? Nicht auch für uns in Europa?