Das Evangelische Wort

Sonntag, 17. 01. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Dr. Gerold Lehner, Superintendent der Diözese Oberösterreich

 

 

In diesen Tagen werden die Austritte in den Kirchen medial aufbereitet und diskutiert. Jetzt, wo manchmal mit dem Ton der Schadenfreude die Zahl derselben herausgestrichen und kommentiert wird, in diesen Tagen möchte ich sagen: Ich bin froh, dass es die Kirche gibt; ich bin froh, dass es die Kirchen gibt.

 

Warum? Ich habe in den letzten Tagen das Votum eines Politikers gelesen, der meinte, die Austritte seien in dem zu starken Engagement der Kirchen für Randgruppen begründet. Die Kirche vergesse auf die Mitte und die Mehrheit.

 

Es ist politische Logik, die hinter einer solchen Aussage steht. Mehrheitsfähig bist du dann, wenn du dich der Mehrheit anpasst, wenn du vertrittst, was die Mehrheit vertritt. Das lässt sich auch unter dem Deckmantel der Demokratie vertreten.

 

Noch einmal: Ich bin froh, dass es die Kirche gibt, ich bin froh, dass die Kirche anders ist, nicht weil die Kirche besser ist, sondern weil der Herr der Kirche sie in eine andere Richtung ruft.

 

Hören wir, was Paulus (in dem für heute vorgesehenen Predigtwort) an die Gemeinde in Rom schreibt: „Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die geschwisterliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen, segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen.“

 

Hier geht es nicht um mehrheitsfähige Programme, die in einer Abstimmung auch durchfallen könnten. Hier geht es nicht um Nützlichkeitserwägungen und nicht um religiöse Wellness und auch nicht um Leistungssteigerung durch Spiritualität.

 

Hier geht es um Gottes Gebot an den Menschen. Hier geht es um eine neue Art zu leben. Hier geht es um einen neuen Maßstab. Es geht um Liebe, es geht um Gut und Böse, es geht um dienen und es geht um das offene Herz und die offene Tür.

 

Gut und Böse, das mag altertümlich klingen, aber es ist von höchster Brisanz. Das Böse sollen sie hassen. Das ist ein unglaublich starkes Wort. Christenmenschen sollen mit dem Bösen nicht kokettieren, sie sollen es nicht ignorieren, nicht tolerieren oder relativieren. Sie sollen das Böse hassen.

 

Das Böse ist jene Macht, die zerstört, die Würde des Menschen untergräbt, verdirbt, das Leben beugt und verbiegt, es in Fesseln schlägt und der Freiheit beraubt. Es versklavt und unterdrückt, pervertiert und in sinnlose Leere, in ausweglose Sackgassen führt. Das Böse ist jene Macht, die manipuliert, die Sehnsüchte und Bedürfnisse anspricht, ihre Erfüllung verspricht und dabei doch in die Irre führt.

 

Und das Gute? Das Gute ist nicht denkbar ohne die Wahrheit. Gut ist, wo ein Mangel, ein Versagen, eine Schuld einbekannt und vergeben werden kann. Gut ist, wenn ein Neuanfang ermöglicht wird. Gut ist, wenn man einander nicht endlos die Fehler aufrechnet. Gut ist, wenn Leben gedeihen kann, wenn es gehegt und geschützt wird. Gut ist, wenn Not gesehen und Hilfe gegeben wird. Gut ist, was aufbaut und zurecht bringt. Gut ist, was frei macht. Gut ist, wo Vertrauen gewährt wird, wo ich mein Herz öffne dem anderen gegenüber, wo ich bereit bin, mich dadurch verletzlich zu machen. Gut ist, wenn ich mein Handeln an dem Maßstab ausrichte, den Jesus von Nazareth vorgelebt hat und den er einfordert.

 

Das Böse sollen wir meiden, keinen Umgang haben damit, es beim Namen nennen und dagegen auftreten. Das Gute sollen wir suchen, es festhalten und einüben, dabei bleiben und es buchstabieren lernen.

 

Kirche ist weit davon entfernt, einfach ein Ort des Guten zu sein. In der Kirche gibt es vermutlich genauso viel Heuchelei, Egoismus, Hochmut, usw. wie anderswo. Was es in der Kirche allerdings nicht gibt, ist eine Rechtfertigung für dieses Verhalten. In der Kirche setzen wir uns dem Maßstab Gottes aus. Wir halten das Wissen um Gut und Böse am Leben. Und auch wenn wir scheitern, stellen wir nicht Gottes Maßstab in Frage, sondern uns selbst. Diese Botschaft bleibt ein Stachel im Fleisch der Welt,- und auch im Fleisch der Kirche. Dass die Kirche dem standhält und nicht ausweicht, dafür liebe ich sie. Und deswegen bin ich froh, dass es sie gibt.