Das Evangelische Wort

Sonntag, 07. 02. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Barbara Knittel

 

 

Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.(Mt 5/4)

 

In den letzten Jännertagen wurde bei uns in Vorarlberg das sog. deutsche Requiem von Brahms aufgeführt. Der Zeitpunkt konnte für mich nicht besser passen. Ich habe es als ein Requiem für die unzähligen Toten in Haiti empfunden, mehr noch, als ein Requiem für die Überlebenden dort. Bis dahin habe ich mich immer wieder bemüht, das Unfassbare gedanklich aufzunehmen, was ja gar nicht geht. Im Hören konnte ich etwas von der Erschütterung dort in Haiti erahnen. Brahms beginnt sein Requiem mit einer sog. Seligpreisung aus dem Matthäusevangelium –„Selig sind, die da Leid tragen“ – genauer übersetzt- „die einen Toten betrauern“. Selig sein und Tote betrauern, wie soll man so etwas in sich verbinden! Das ist ja ein Gegensatz in sich. Mascha Kaleko schreibt in einem ihrer Gedichte:– „vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, aber vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind“. Zurück bleiben, weiterzuleben, wenn nahe Menschen sterben, das ist unsagbar schwer.

 

„Selig sind, die da Leid tragen“, - der Satz geht ja weiter, -„ denn sie sollen getröstet werden“, wobei mit selig nichts Jenseitiges gemeint ist, - eher glückselig – jetzt. Im Zusammenhang mit Haiti klingt das wie ein billiger Trost. Da ist eher eine bittere Klage berechtigt – warum denn gerade die Ärmsten der Armen in der Welt und warum gerade so! Und doch – in Klage und Anklage kann man verbittert stecken bleiben. Fast beschämt hat mir dazu eine Frau erzählt, dass sie sich seit der Katastrophe in Haiti nicht mehr so allein fühlt. Auch sie hat Kinder verloren und ist darüber in ihrer Einsamkeit verbittert. Jetzt ist sie berührt von dem, was sie über die Medien erfährt und kann in ihrer Weise mitempfinden. Ihre Verbitterung löst sich ein bisschen und Trauer klingt an.

 

Ich kann mir vorstellen dass so ein biblischer Satz – „selig sind, die da Leid tragen“ - wie zu einer Überschrift über einen längeren Weg werden kann. Ein Weg, auf dem Anklage und Widerspruch auch Platz haben. Manchmal denke ich, dass im Aushalten von Widerspruch etwas Neues erfahren werden kann. In ihrer Weise hat das z.B. Nelly Sachs in einem Gedichte gesagt: „der Himmel übt an Dir Zerbrechen. Du bist in Gnade“. Ein kaum zu fassender Gegensatz, und doch spricht aus dieser jüdischen Dichterin, deren Freunde im Holocaust umgekommen sind, Erfahrung.

 

Das hilft mir, den biblischen Satz neu zu lesen. Nicht als Lehrsatz, und nicht geglättet, sondern als Spiegel von widersprüchlicher Erfahrung. Selig sind, die da Leid tragen. In den Seligpreisungen wird der Name Gottes nicht einmal in den Mund genommen und doch könnte es dabei um eine Erfahrung gehen -Verbundenheit mit Gott - mitten in Leid und Verlust.

 

Mir würde es vermessen vorkommen, Menschen in Haiti mit solchen Gedanken zu trösten. Die Menschen dort brauchen derzeit, dass wir sie nicht vergessen und ihnen materielle Lebensgüter zukommen lassen als Anfang eines Trostes. Im Trösten darf man nichts überspringen, sondern muss mit den betroffenen Menschen Schritt halten. Und trotzdem kann es wichtig sein, die Erinnerung an einen derartigen, tieferen Trost wach zu halten, stellvertretend für die Menschen dort, auch wenn tausende Kilometer dazwischen liegen.

 

Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.