Das Evangelische Wort

Sonntag, 14. 02. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Von der Liebe“

von Pfarrer Mag. Werner Geißelbrecht (Christuskirche Innsbruck)

 

 

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (Gen 2,18a), heißt es im uralten Mythos vom Paradies. Und einer hat es so formuliert: „Der Mensch ohne den Mitmenschen ist nicht der Mensch, sondern das Gespenst des Menschen.“ (Karl Barth)

 

Niemand lebt für sich allein. Von der Wiege bis zur Bahre sind wir eingebettet in ein Netz von Beziehungen. Nicht immer trägt dieses Netz so, wie wir es uns wünschen und wie wir es brauchen. Manchmal spüren wir unsere Verbundenheit nicht oder zu wenig, fühlen uns einsam und sind es vielleicht auch. Oder wir wollen alleine sein und glauben uns dann unabhängig und frei.

 

Es bleibt aber dabei: Wir alle leben in Beziehungen. Und die Qualität unseres Miteinanders prägt unser Leben entscheidend.

 

Jedes Jahr am 14. Februar feiern Liebende ihre Beziehung. Heute, am Valentinstag, schenken Verliebte einander Blumen, Schokolade und gute Düfte. Ein Feiertag für die Liebe. Und dazu – aus Zufall! – der Predigttext für den heutigen Sonntag im evangelischen Gottesdienst: Das Hohe Lied der Liebe aus dem ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth. Eine biblische Hymne auf die Liebe als Valentinsgedicht? Warum nicht?

 

Das Hohe Lied der Liebe ist aber noch mehr als nur ein Grußkartentext zum Rosenbouquet. Es sind ungeheuer dichte, auch ernste Worte über das Wesen des christlichen Glaubens. Denn wenn wir Paulus zustimmen, dann ist die Liebe in einem Leben als Christin, als Christ nicht ein Faktor von vielen, dann überragt die Liebe alles andere an Größe und Bedeutung, sie ist Ziel, Inhalt und Verwirklichung menschlichen Lebens. Ohne Liebe geht gar nichts.

 

Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart. Wahrheit ohne Liebe macht rechthaberisch. Klugheit ohne Liebe macht gerissen. Ordnung ohne Liebe macht kleinlich. Macht ohne Liebe macht rücksichtslos. Besitz ohne Liebe macht geizig. Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch. Hoffnung ohne Liebe macht träge. Glaube ohne Liebe macht fanatisch. Alles steht und fällt mit der Liebe.

 

Wenn Paulus von der Liebe redet, dann sind nicht so sehr Gefühle im Blick, sondern eine liebevolle Grundhaltung und entsprechendes Handeln. Diese Liebe ist nicht abhängig von persönlicher Anziehung oder Abneigung, von Leidenschaft und Sympathie. Diese Liebe nimmt den anderen so, wie er ist – mit seinem Schatten und seinem Licht – und will für ihn nur das Beste.

 

Wo so geliebt wird – umfassend und ohne Bedingung, wo diese Liebe aufleuchtet, da ist Ewigkeit, das ist Gott. Denn solche Liebe ist sein Wesen, so zeigt Gott sein Gesicht – in Jesus und auch in uns durch seinen Geist.

 

Das Hohe Lied der Liebe – ein kostbarer Text für den Valentinstag und für alle Tage. Ich lese einige Verse aus einer neueren Übersetzung.

1. Brief an die Korinther, Kapitel 13:

 

„Könnte ich auch schöner reden als alle Menschen

und alle Engel,

ich wäre doch nur ein schepperndes Blech

und eine stumme Saite,

wenn ich nicht liebte.

 

Könnte ich auch predigen wie ein Prophet

und wüsste ich alle Geheimnisse

und alle Theologie

und könnte mein Glaube Berge versetzen,

ich wäre doch nichts,

wenn ich nicht liebte.

 

Und gäbe ich all meine Habe fort

und ließe mich als Märtyrer verbrennen,

es nützte mir doch nichts,

wenn ich nicht liebte.

 

Liebe ist geduldig

und freundlich,

hält sich fern von hektischem Eifer und Klamauk,

von Dünkel und Frechheit,

sie kennt keinen Eigennutz

und keine Verbitterung.

Heimtücke ist ihr genauso zuwider

wie die hämische Freude am Unrecht.

Wer liebt,

freut sich mit dem anderen über alles, was gut ist.

 

Wer liebt,

kann alles vergeben,

kann von Herzen glauben,

inständig hoffen

und alles ertragen.

 

Was bleibt,

sind drei Dinge:

Glaube,

Hoffnung,

Liebe.

Das Größte aber ist

die Liebe.“

 

(1. Kor 13,1-7.13, zitiert nach: Klaus Berger – Christiane Nord, Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt am Main/Leipzig 1999, S. 104f)