Das Evangelische Wort

Sonntag, 07. 03. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Ulrike Wolf-Nindler, Tulln

 

 

„Haben Sie Schmerzen?“, fragte mich neulich der Arzt, und ich setzte mühsam an zu beschreiben, was im Grund genommen unteilbar und damit auch nicht mitteilbar ist: Denn ob der Schmerz uns nun schleichend oder völlig unvermittelt trifft: Er hat immer unzählige Gesichter. Er kann stechen, ziehen oder jucken, brennen, krampfen oder hämmern, hell, heiß, attackenartig oder hintergründig sein.


Natürlich hab auch ich einst Rituale zur Schmerzlinderung erlernt, aber dem zum Trotz ist er noch immer da, der leise Dauerschmerz, der sich unaufhaltsam seinen Weg an die Oberfläche bahnt und alle anderen Gefühle, Pläne und Aktivitäten wie im Nichts zerfließen lässt. Manchmal versuche ich auch, mir meinen Schmerz vorzustellen und skurrile Bilder steigen in mir auf, - von bissigen Terriern und überdehnten Gummibändern, von langen Messern oder furchtbaren Explosionen.

 

Ja, es gab wohl Zeiten, da wusste ich noch gar nicht richtig, dass ich einen Körper hatte, er funktionierte einfach zuverlässig. Der Schmerz aber ändert alles: Der lässt einem keine Ruhe, jagt ins ungewisse Neuland bisher kaum erahnter Körperteile oder ist er gar schon zum guten alten Bekannten avanciert? In jedem Fall treibt er in die Enge, sprich: In die Angst. Denn was ist, wenn er noch ärger wird? Was, wenn der Körper gänzlich nicht mehr mitmacht und ich die Kontrolle über ihn verliere? Schmerz gehört aber zum Leben, zum Körper sein.


Und so ist jede Art von Schmerz immer auch wie ein Schlüssel, um bisher noch unbekannte Tore der Erkenntnis zu öffnen. Denn es scheint fast so, als gäbe es einen Zustand an Gesundheit, der es uns nicht erlaubt, gewisse Menschen, bzw. Dinge zu verstehen. Das ist, als ob man ein und dieselbe Sache einmal mit bloßem Auge, einmal unterm Mikroskop betrachtet. Das ändert die Perspektive und man lernt sich erst so richtig selber kennen.


Eine andre Sicht ist es, sich fallen zu lassen in den Schmerz, weil da bedient wird und verwöhnt, gesorgt und beigestanden. Und auch wenn der Schmerz immer subjektiv bleibt, so nimmt ein Helfer ein wenig von der Einsamkeit und lässt vielleicht nach ersten Urlauten doch noch beschreibende Worte finden. – Nein, nicht alles ist sagbar, aber ohne Zuhörer bleibt alles Schmerzliche ungesagt.

 

Wer Worte braucht, der mag sich Worte holen und da tönen durch Jahrtausende bewährte Worte aus der Bibel bis zu mir herüber.

 

“Wir haben aber unseren Schatz in irdenen Gefäßen,

damit die überschwängliche Kraft von Gott kommt und nicht von uns.

Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht.

 

Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.

Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.

Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leib.

Das geschieht, damit auch das Leben Jesu an unserm Leib offenbar wird“.

 

Schrieb einst der Apostel Paulus an seine Gemeinde in Korinth. Da wird der Schmerz jetzt nicht mehr als Antwort auf die Frage „Was habe ich versäumt zu tun? Oder wer ist schuld an meiner Pein?“ verstanden, sondern als Folge unsres irdisch Seins. Wenn das so ist, dann wäre Krankheit die Kunst, in und mit diesem irdnen Körper zurecht zu kommen. - Und die Kraft, die man dazu braucht, wär dann nicht Eigenleistung, sondern göttliches Geschenk.

 

„Hallo! Haben Sie Schmerzen?“, hörte ich da auf einmal die Stimme meines Arztes wieder, und ich antworte darauf mit einem schlichten: „Ja.“