Das Evangelische Wort

Sonntag, 14. 03. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Mag. Roland Werneck, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Wien

 

 

In den letzten Tagen war  viel von dem Film „Das weiße Band“ von Michael Haneke die Rede. Wenn auch nicht mit dem Oscar, so wurde dieser Film doch mehrfach international ausgezeichnet.

 

Er spielt in einem norddeutschen Dorf kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs. Alltagsgewalt prägt die Atmosphäre des Films, Gewalt gegen Kinder, gegen Frauen, gegen einen behinderten Jugendlichen. Auch im evangelischen Pfarrhaus ist es selbstverständlich, dass in der Erziehung der Kinder die Prügelstrafe eine wichtige Rolle spielt. Eine besonders erschütternde Szene zeigt, wie der Sohn des Pfarrers, nachdem er zuerst gefragt wird, ob er mit der Strafe einverstanden ist, selbst die Rute holen muss, mit der er dann vom Vater geschlagen wird. Alle leiden unter der Gewalt: Die Opfer, aber auch die Täter – und doch gibt es scheinbar keinen Ausweg. Der Pfarrer ist davon überzeugt, dass er als Erzieher seiner Kinder ja nur das Werkzeug Gottes ist.

 

„Gott will es so!“- Das war jahrhundertelang tiefste Überzeugung, wenn es um Bestrafung ging. Die Prügelstrafe war weit verbreitet, auch im kirchlichen Unterricht. „Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter!“ - so ein weit verbreitetes Erziehungsmotto dieser Zeit. Wie viele Kinderseelen sind so zerstört worden, wie viele gebrochene Menschen waren das Produkt dieser Pädagogik!

 

Im „Weißen Band“ wird anschaulich gezeigt, wohin eine solche Erziehung führt: Der Kreislauf der Gewalt dreht sich unaufhörlich weiter, die Kinder geben das, was sie selbst erleiden, an ihre Umwelt weiter. Nicht selten werden aus Opfern Täter! Es ist kein historischer Zufall, dass am Ende des Films der Ausbruch des 1. Weltkriegs steht. Die Erziehung der Kinder wirkt sich immer in der ganzen Gesellschaft und auch in der großen Politik aus, so verstehe ich die Botschaft dieses Filmes.

 

„Ja, das ist jetzt fast 100 Jahre her!“ – könnten wir erleichtert feststellen, wenn wir aus dem Kino hinausgehen, aber diese Erleichterung will sich bei mir nicht so richtig einstellen. Sicher, wir haben dazu gelernt, in der Pädagogik, in der Psychologie, auch in der Theologie. Die Überzeugung „Gott will es!“ als Begründung für die Prügelstrafe hat hoffentlich endgültig ausgedient. Wir müssen in den Kirchen bekennen, dass es vor allem die Erkenntnisse aus den Humanwissenschaften waren, die hier eine Umkehr bewirkt haben. Für die so genannte „g'sunde Watschen“ gibt es heute keine akzeptierte Begründung mehr, schon gar keine religiöse!

 

Das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung ist zwar in Österreich seit mehr als 20 Jahren gesetzlich festgeschrieben, aber in alltäglichen Stresssituationen fühlen sich manche Eltern damit überfordert. Gewalt wird uns in verschiedenen Medien als schnelles Mittel zur Konfliktlösung angeboten. Gewalt übt oft auch Faszination aus, auf Erwachsene, aber auch auf Kinder und Jugendliche.

 

Religiöse Erziehung hat hier eine wichtige Verantwortung: Es geht darum, zu zeigen, dass es möglich ist, aus dem Kreislauf der Gewalt auszusteigen. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte gehören zu unserem Leben dazu, in der Familie, in der Schule, in der Nachbarschaft. Wie wir lernen können, Konflikte zu regeln, ohne Gewalt anzuwenden, dafür bieten Religionen unterschiedliche Antworten an. In jeder Religion gibt es Rituale, die das Thema Gewalt nicht verdrängen, aber uns helfen können, die Faszination daran umzuwandeln in die Fähigkeit, auch das Gegenüber als geliebtes Gottesgeschöpf wahrnehmen zu können.

 

In der Feier des Heiligen Abendmahls erinnern sich Christenmenschen an den gewaltsamen Tod Christi. Die Gewaltgeschichte vom Kreuzestod wird durch das Teilen von Brot und Wein verwandelt in die Botschaft der Überwindung von Gewalt. Das Abendmahl ist kein endgültiges Allheilmittel gegen Gewalt, aber es kann uns darin bestärken, einen neuen Anfang zu wagen.

 

Ich bin froh, dass in der Evangelischen Kirche seit einigen Jahren auch die Kinder dazu eingeladen werden. Hier können alle in Gemeinschaft am eigenen Leib die Botschaft der Versöhnung erfahren. Die Liebe Gottes hilft uns, den zerstörerischen Kreislauf der Gewalt zu unterbrechen.