Das Evangelische Wort

Sonntag, 28. 03. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Olivier Dantine (Großpetersdorf, Burgenland)

 

 

Sind Christen Masochisten? Ein Vorwurf, der gelegentlich dem Christentum gemacht wird ist, dass das Leid eine so zentrale Rolle spielt. Fröhlichkeit sei dem Christentum fremd. „Das Leben ist ein Heidenspaß, für Christen ist es nichts!“ sang einst Wolfgang Ambros.

 

Mit dem heutigen Palmsonntag beginnt der Höhepunkt der christlichen Passionszeit. Eine Zeit, die das Leiden sogar im Namen trägt. Und wenn man sich manch seltsame Bräuche weltweit ansieht, dann kann man sich schwer des Eindrucks entziehen, dass die beteiligten Menschen das Leiden anstreben. Den wohl extremsten Brauch kann man auf den Philippinen beobachten. Am Karfreitag lassen sich dutzende junge Männer an Kreuze nageln. Ein grausiges und völlig geschmackloses Schauspiel, das sich vollständig meinem Verständnis entzieht. Als ob es in der Nachfolge Christi um das reine Kopieren des Leidensweges Jesu geht!

 

Wir sind geheiligt ein für allemal durch das Opfer des Leibes Jesu Christi, heißt es im Hebräerbrief. Dieses „Ein-für-allemal“ macht schon deutlich, dass eine Wiederholung dieses unglaublichen Leidensweges nicht im biblischen Sinn ist. Dieses „Ein-für allemal“ macht vielmehr deutlich, dass das Leiden selbst gar nicht so im Mittelpunkt steht, wie man meinen möchte.

 

Freilich: Christinnen und Christen haben im Laufe der Jahrhunderte sehr wohl einen besonderen Bezug zum Leid erworben. Die Karwoche steht für die christliche Betrachtung des Leidensweges Jesu. Ich denke da etwa an die vielen Passionsspiele und die großen berühmten Oratorien Johann Sebastian Bachs. Das Bedenken und Betrachten des Leidens Jesu hat eine lange Tradition im Christentum.

 

Aber wenn man sich die Leidensgeschichten in den Evangelien genau ansieht, dann bemerkt man, dass es gerade nicht um die genaue Darstellung des Leides und der Gewalt geht. Von den Schmerzen wird berichtet, das schon, aber die Gewalt und die Schmerzen werden nicht voyeuristisch ausgeschlachtet. Es sind gerade keine blutrünstigen Darstellungen. Es ist eben nicht das Leid selbst, das im Mittelpunkt steht. Christus war auch kein Masochist, er leidet nicht um des Leidens willen. Christus will das Leid überwinden. Ein für allemal. Christus will Gewalt überwinden. Ein für allemal. Nachfolge Christi heißt also nicht Nachahmung des Leidens und der erlittenen Gewalt, sondern an der Überwindung von Leid, an der Überwindung von Gewalt mitzuwirken. So hat etwa der Ökumenische Rat der Kirchen das zu Ende gehende Jahrzehnt zur „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ ausgerufen. Den Kirchen ist bewusst, dass sie nicht alle Gewalt in der Welt beenden können. Und doch bemühen sie sich, an vielen Stellen Schritte zu unternehmen, die die Gewalt überwinden können. Freilich, es sind nur sehr kleine Schritte: Religionen werden zum Dialog eingeladen, Menschen werden zur lokalen Friedens- und Versöhnungsarbeit bestärkt, sie versuchen, durch Stellungnahmen Einfluss auf Regierungen auszuüben. Gerade aber diese kleinen Schritte sind auf dem Weg der Überwindung von Gewalt so wichtig.

 

Und was können wir im Kleinen zur Überwindung von Gewalt beitragen? Auch wir werden die weltweite Gewalt nicht im Alleingang bezwingen können. Was wir sehr wohl tun können, erschließt sich an einer für mich entscheidenden Episode aus der Passionsgeschichte. Der Evangelist Johannes berichtet, dass Jesu Mutter und Jesu Lieblingsjünger unter dem Kreuz stehen.

 

Wenn uns die Passionsgeschichten jemanden zum Vorbild geben, dann nicht Jesus, sondern diese beiden: Jesu Mutter und sein Lieblingsjünger, die nicht weggelaufen sind, sondern es ausgehalten haben, bei Jesus zu bleiben, und dadurch Solidarität mit ihm gezeigt haben. Uns darf das Leid anderer Menschen nicht gleichgültig sein, es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn Menschen Opfer von Gewalt werden. Ein wichtiger Baustein der Solidarität mit Opfern ist, ihnen, vor allem aber auch den Tätern zu zeigen, dass die Gewalt und ihre Opfer gesehen werden und nicht vergessen werden.

 

Wenn wir das Leid Jesu betrachten, und das dazu führt, sensibel zu werden für das unzählige Leid heutzutage, dann hat das Leid Jesu seinen Sinn gehabt, denn dann ist der erste Schritt zur Überwindung von Gewalt getan.