Das Evangelische Wort

Sonntag, 18. 04. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Gisela Ebmer

 

 

„Und sieh, da ging der Herr vorüber. Und vor dem Herrn her kam ein großer und gewaltiger Sturmwind, der Berge zerriss und Felsen zerbrach, in dem Sturmwind aber war der Herr nicht. Und nach dem Sturmwind kam ein Erdbeben, in dem Erdbeben aber war der Herr nicht. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer, in dem Feuer aber war der Herr nicht. Nach dem Feuer aber kam das Flüstern eines sanften Windhauchs. Als Elija das hörte, verhüllte er sein Angesicht mit seinem Mantel. Dann ging er hinaus und trat an den Eingang der Höhle.“ (1.Kg. 19, 11 - 13)

 

Ich bin keine Läuferin, war schon als Kind eine der Langsamsten in meiner Klasse, obwohl ich schlank und sportlich bin. Laufen, das kann ich einfach nicht. Ich fahre mit dem Rad, ich fahre gern Schi, und ich habe jahrelange, auch internationale  Wettkampf-Erfahrung im Tanzen.  All das führt vielleicht dazu, dass mich ein Ereignis, wie der heute stattfindende Vienna City-Marathon immer wieder zum Nachdenken bringt. „Das Ziel ist es ein emotionales Highlight und den Jubel von tausenden Zuschauern zu erleben, die Eindrücke von einer der imposantesten kulturellen Laufstrecken der Welt zu genießen und unvergessliche Glücksmomente beim Zieleinlauf am Heldenplatz auszukosten“. So lautet es im Vienna City-Marathon-Schweinehund-Vertrag, den jeder Skeptiker abschließen kann um den inneren Schweinehund endlich zu überwinden.

 

Was wird hier versprochen? Unvergessliche Glücksmomente, emotionales Highlight, ist es ein Stück vom Himmel, das mir da vorausgesagt wird? Ja, ich kenne das ein wenig, dieses Streben nach dem Sieg bei einem Tanzturnier, nach einem Platz im Finale oder zumindest nach einem besseren Abschneiden als beim letzten Mal. Die Freude ist riesig, wenn man am Stockerl steht, man hat's geschafft, man hat's erreicht, man war besser als die anderen, man war besser als zuletzt. Es geht aufwärts. Ich bin gut. Ich werde bejubelt, ich werde angehimmelt, beneidet, geliebt, so glaubte ich. Ist das der Himmel? Bin ich nun Gott ein Stück näher als sonst? Ein Stück näher als alle anderen? Oder habe ich mir ein Stück ewiges Leben verschafft, weil mein Ergebnis nun über viele Jahre im Internet nachzulesen ist, vielleicht auch lange, nachdem ich schon tot bin?

 

Worum geht es bei so großen Laufwettbewerben? Ich bin sehr froh, dass es bei den Informationen zum Marathon sehr viel um Gesundheit und auch um Vorsicht geht: Bewegung ist gesund, das ist klar, aber sie soll sanft, angemessen sein oder zumindest gut aufgebaut. Ein Trainingsprogramm für den Marathon im April beginnt im Oktober des Vorjahres. Und es ist nicht für alle geeignet. Medizinische Tests werden sehr empfohlen und das Achten auf jedes kleinste Anzeichen des Körpers. Auf jeden noch so kleinen Schnupfen, jeden möglichen Infektionsherd bei den Zähnen, jegliche Unregelmäßigkeiten des Blutdrucks. Es ist unser Körper, der im Vordergrund steht. Auf den heute alle ganz genau achten sollen, die an den Start gehen.

 

Der Körper ist in der Bibel, vor allem im Alten Testament, nicht wegzudenken aus der hebräischen Sprache: Der Körper ist Mittel der Kommunikation, des Erlebens, der Erfahrung, der Emotionen, des Leidens, der Träume, des Lobes und Dankes, des Staunens, des Klagens, des Zorns, des Jubelns, der Trauer und der Freude. Er ist auch das Mittel der Kommunikation mit Gott und der Erfahrung Gottes. Es gibt im biblischen Denken keine Trennung von Leib und Seele, keine Höher-Bewertung des Geistes über den Körper. Und der Zustand des Körpers ist immer auch ein Maß für den Zustand des Landes: Wenn viele Menschen am Körper leiden, dann ist etwas falsch im Land und an der Regierung des Landes. Wenn es Menschen körperlich gut geht, dann ist das ein Zeichen für das Anbrechen des Reiches Gottes. Und das alttestamentliche Denken meint damit immer das ganze Volk: Wenn arme Menschen in unserem Land mehr krank sind als andere, sich keine teuren Arztbesuche, Operationen und Medikamente leisten können, wenn Stress und schlechte Arbeitsbedingungen sie krank machen, dann stimmt was nicht in unserem Land. Wenn immer mehr Menschen unter Burnout leiden, immer mehr Menschen ihren Frust in sich hineinfressen und daher übergewichtig sind, aus Langeweile zu Drogen oder Alkohol greifen, dann stimmt was nicht in unserem Land. Der Zustand des Körpers ist ein Zeichen für den Zustand des Landes. Und daher kann so ein Marathon-Tag wie heute als Möglichkeit wahrgenommen werden, wieder ein wenig mehr auf unseren Körper zu achten. Auf die ganz kleinen Anzeichen, die er uns gibt oder die wir von anderen empfangen: Es ist nicht der Sturm, nicht das Erdbeben, nicht das Feuer, in dem Elia Gott gefunden hat. Es ist nicht der Sieg beim Marathon oder der Jubel der Zuschauer, nicht das emotionale Highlight und nicht die Glücksmomente beim Zieleinlauf, wo wir Gott begegnen können. Es ist das leise Flüstern eines Windhauchs, wo Gott zu finden ist. Die ganz feinen Regungen meines Körpers achten und verantwortungsvoll damit umgehen, das heißt nahe bei Gott zu sein. Mir selber nicht zu schaden und auch keinem anderen Menschen. Mich freuen an der Bewegung, solange sie mir Freude macht, mich ausruhen und aufhören, wenn ich genug habe. Manchmal vielleicht auch an meine Grenzen gehen. Aber nicht immer. Anderen in die Augen schauen, ihre Freude, ihre Angst und Sorgen,  ihre Traurigkeit sehen. Hören, wie die Stimme der Menschen klingt, mit denen ich zu tun habe. Riechen, wie die Blüten jetzt im Frühling duften, wie Wien ohne Autos heute riecht. Sehen, wie da Menschen aller Hautfarben, jedes Alters, vieler Nationen und Religionen mit am Start sind, niemand abgeschoben wird, niemandem die Teilnahme verweigert wird. Wahrnehmen, dass hier alle zusammenhalten und so ein kleines Stück vom Reich Gottes sichtbar wird.