Das Evangelische Wort

Sonntag, 25. 04. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Horst Pehlke (Gmünd, OÖ)

 

 

Vor Kurzem wurde mir in einem Gespräch die Frage gestellt: “Wo kommt Gott heute im Alltag noch vor?“ Ich denke, die Frage ist berechtigt. Wir moderne Menschen leben doch weithin ohne Gott! Wir haben Gott eingesperrt im Herrgottswinkel, eingesperrt in den Kirchen. Das Reden von Gott überlassen wir den Pfarrern und Religionslehrern. Oder kennen Sie Menschen, die den Tag mit einem Morgengebet beginnen? Kennen Sie Familien, in denen vor dem Essen noch gebetet wird? Kennen Sie Mütter und Väter, die ihr Kind segnen, bevor es das Haus verlässt? Kennen Sie Männer oder Frauen, die vor wichtigen Entscheidungen fragen, was der Wille Gottes sein könnte? Im Berufsleben spricht man nicht über den Glauben an Gott. Auch nicht im Verein, ebenso wenig in der Gewerkschaft oder in der Partei. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass unsere Zeit total verweltlicht ist und der Mensch sich selbst zum Maß aller Dinge gemacht hat. Gott kommt im Alltag nicht vor. Es ist kein Platz mehr für ihn.

 

Und doch, - vielleicht ahnen wir ganz tief in uns, was der dänische Philosoph Kirkegaard meint, wenn er sagt: “Gott leugnen ist der grausamste Selbstmord. Gott vergessen ist der tiefste Schmerz. Gott leugnen heißt, nicht ihm Unrecht zuzufügen, sondern sich selbst zu zerstören.“

 

Wenn Gott nicht mehr vorkommt, wenn Gott keinen Platz in unserem Leben findet, sind wir auf Gnad und Verderb Menschen ausgeliefert, und müssen in Angst vor dem leben, wozu der Mensch fähig ist.

 

Auch damals wurde kein Raum gefunden, als Jesus geboren werden sollte. Drei Jahrzehnte später war kein Platz mehr für ihn, außer am Kreuz! Warum? Weil er den Menschen seiner Zeit Vergebung statt Vergeltung, Liebe statt Hass predigte. Weil er begreiflich machen wollte, wie sehr Gott uns Menschen liebt, ohne dass wir uns diese Liebe zuvor durch fromme Leistungen verdienen müssten. Es war kein Raum für Jesus, außer in einem Grab. Und dieses konnte ihn nicht halten. So kam die Liebe Gottes zu uns. Sie hat in Jesus ein leuchtendes Angesicht erhalten. Sie sagt: Mein lieber Sohn, meine liebe Tochter!

 

Man kann den Menschen mit einem Spiegel vergleichen, der die Sonnenstrahlen, die er auffängt, umgehend zurückstrahlt; vorausgesetzt der Spiegel bleibt dem Licht zugewandt. Wird der Spiegel umgedreht, scheint das Licht auf die Rückwand des Spiegels, dann kann er nichts zurückstrahlen. So ist es mit dem Menschen. Er reflektiert die Liebe, die er empfängt.

 

Wendet er sich von Gott ab, kann er auch nichts mehr von der Liebe widerspiegeln. Der Mensch verkrümmt in sich selbst. Er kann nur noch sich selber sehen. In der Sozialwissenschaft spricht man bereits davon, dass wir uns zu einer Gesellschaft der „Ich-linge“ entwickeln. Das „Ich“ steht im Mittelpunkt. Alles dreht sich nur noch um mich, um meine Interessen, meine Bedürfnisse, meine Wünsche. Die Gesellschaft der „Ich-linge“ wird zunehmend egozentrischer und damit auch kälter.

 

Das Sprichwort sagt: Humanität ohne Divinität führt zur Bestialität Das meint: Der Mensch ohne Gott wird leicht zum Raubtier. Fehlentwicklungen unserer Tage in allen Gebieten des Zusammenlebens geben dieser Aussage recht: Sei es in der Wirtschaft, Stichwort Raubtierkapitalismus, sei es in der Politik geht es gelegentlich bissig zu, in der Kirche, wo Machtverhältnisse missbraucht werden, bis hin in Ehen und Familien, wo Vertrauen enttäuscht und Kinder entmutigt werden.

 

Ein anderes Wort hieß ursprünglich: „Fürchte Gott, tue recht und scheue niemand.“ In der Zeit unserer Eltern fiel das „fürchte Gott“ weg, und man sagte nur noch: „Tue recht und scheue niemand.“ Könnten wir uns in einer Entwicklung befinden, an deren Ende das „tue recht“ auch noch wegfällt und nur noch „scheue niemand“ übrig bleibt? Man kann dies beklagen, allerdings die Augen zu verschließen und von einer heilen Welt zu träumen, hilft nicht weiter. Es gilt, einen Kontrapunkt zu setzen. Gerade als Christen.

 

Wenn wir uns von Gott angenommen und bejaht wissen, werden wir glücklich, wir müssen das Glück nicht mehr im Materiellen suchen. Wenn Gott mir sagt, du bist einzigartig, du bist wertvoll, dann werde ich frei, dann kann auch ich meinen Nächsten annehmen und seine Einzigartigkeit, seinen Wert erkennen. So sollen Christen mitten in der Welt Lebenszeichen für Menschen sein, auch wenn es ringsum rauer und kälter wird.