Das Evangelische Wort

Sonntag, 16. 05. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Gabriele Lang-Czedik (Wien)

 

 

"Sichtbare und unsichtbare Kirche"

 

In Zeiten, wo es uns mit unserer Kirche gut geht, ist Kirche ein einfacher Begriff.

- Die Kirche ist das Haus, in das wir zum Gottesdienst gehen.

- Kirche ist die Gemeinschaft von Christen, zu der ich gehöre.

 

In Zeiten, wo es uns schlecht geht mit unserer Kirche - auch evangelische Christinnen und Christen haben ja manchmal Probleme mit ihren Pfarrern, mit ihren Presbyterien oder mit ihren gewählten Vertretern. Und viele unserer katholischen Glaubensgeschwister leiden nun seit Monaten unter einem Vertrauensverlust gegenüber ihrer Kirche.

In solchen Zeiten wird uns als Gläubigen auch der Begriff Kirche schwierig.

 

- Ist dieses besondere Haus noch Kirche für mich, wenn in ihm nicht mehr gefeiert wird, was für mich gelebter Glaube ist?

 

- Repräsentieren die öffentlichen Vertreter meine Kirche noch, wenn sie nicht so handeln, wie ich es für vertretbar halte?

 

- Sind wir dann die Kirche? -Aber wer ist wir? - Nur die Christen meiner Konfession? Oder alle Getauften? Auch die ausgetretenen?- Oder alle, die in ihrem Herzen (noch) glauben? - Alle, die was glauben? - Wer definiert das? - Und wer kann es feststellen?

 

Solche Fragen kommen dann auf, wenn es Christen mit ihrer Kirche schlecht geht.

 

Und doch bekennen wir jeden Sonntag im Credo: "Ich glaube an die heilige christliche Kirche und an die Gemeinschaft der Heiligen. - Manche fragen sich dabei, wo die "Heiligkeit der Kirche" zu finden ist.

 

In der frühen Kirche war das ganz klar. Da sind alle Mitglieder einer Gemeinde als "Heilige" angesprochen worden. So adressiert Paulus 53 n. Chr. die Christen in Korinth: "An die Kirche Gottes, die in Korinth ist, an die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige" - und das, obwohl Paulus weiß, dass sie in Korinth gerade heftig streiten.

 

Für ihn sind dennoch grundsätzlich alle Menschen geheiligt, die an Jesus Christus glauben ... So sehen auch evangelische Christen es bis heute und bekennen uns darum zur "heiligen christlichen Kirche", zu dieser "Gemeinschaft von lauter Heiligen". - Mit diesem Bekenntnis drücken wir unsere Achtung voreinander aus und stärken unseren Zusammenhalt als Kirche - und als Kirchen - auf der ganzen Erde.

 

So weit, so schön! - Aber die Frage bleibt, wie Christen mit den bisweilen höchst unheiligen Taten und Aussagen offizieller Kirchenvertreter umgehen sollen, die ihnen widerstreben? - Manche drücken die Augen fest zu, solange es irgendwie geht. Andere verlassen die Kirche, frustriert und wütend - aktuell besonders die römisch-katholische.

 

Wer aber mit offenen Augen dabei bleiben will, versucht mit Mühe, den Spagat zusammen zu bringen zwischen der "heiligen Kirche" und ihren oft so unheiligen Vertretern, ohne die eigene Redlichkeit aufzugeben.

 

Luther hat da eine für mich sehr hilfreiche Differenzierung der Ebenen gefunden:

Er unterscheidet die sichtbare von der unsichtbaren Kirche. Und doch gehören beide geheimnisvoll zusammen wie die göttliche und die menschliche Natur Jesu.

 

Die sichtbare Kirche, sagt Luther, ist die verfasste Kirche. Sie ist da, wo die kirchlichen Ämter bestellt sind, die das Wort Gottes predigen, die Taufe spenden und das Abendmahl feiern.

 

Diese sichtbare Kirche ist zu achten als der Fleisch gewordene Christus-Leib. Als solche ist sie aber von irdischen Gesetzen bestimmt, wird von fehlerhaften Menschen geleitet, ist in irdische Nichtigkeiten und Sünden verstrickt, ist schwach und vergebungsbedürftig.

 

Die unsichtbare Kirche hingegen ist nach Luther "die Seele des Leibes Christi".

 

Sie reicht so weit, wie der Heiligen Geistes wirkt. Und der weht bekanntlich, wo er will.

 

Überall dort, sagt Luther, wo Menschen in Christus auf Gott vertrauen, lebt die unsichtbare Kirche, "neu geboren durch den Heiligen Geist." Menschen, die der wahren, unsichtbaren Kirche angehören, nehmen auch die Gnadengaben der sichtbaren Kirche an und leben aus ihnen. Aber niemand kann sehen, wo und in wem diese wahre Kirche Jesu lebt.

 

Ziel der sichtbaren, verfassten Kirche ist es, sich der unsichtbaren anzunähern. Diese ist der Maßstab, nicht die sichtbare Kirche selbst.

 

Die Scheidelinie zwischen den beiden aber verläuft mitten durch uns hindurch. So wie Glaube und Unglaube in mir und in jedem/r von uns daheim sind ebenso wie Liebe und Lieblosigkeit.

 

Diese Unterscheidung der Ebenen hilft mir im realen Leben in der Kirche. Ich kann dann entspannter wahrnehmen, dass in den sichtbaren Kirchen eben Menschen am Werk sind, fehlerhaft, wie ich selbst es bin, Menschen, die selber Ängste haben und Sicherheiten suchen, Menschen, die bisweilen überfordert sind und dann überreagieren usf.

 

Ich habe so verstanden, dass auch meine Kirche nie perfekt sein wird …

 

Die eine heilige christliche Kirche auf Erden liebe ich weiterhin, die unter den Fehlern der sichtbaren Kirchen verborgen ist.

 

Aber dort, wo einer in der Kirche den anderen, eine die andere um Vergebung bitten kann, da nähert sich die sichtbare Kirche schon der unsichtbaren an.

 

Ja, genau in diesen heiligen Augenblicken der kritischen Selbsterkenntnis und des Verzeihens fallen sie in momentweise schon in eins.