Das Evangelische Wort

Sonntag, 20. 06. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfrn. Marianne Fliegenschnee, Wien

 

 

Unser tägliches Brot

 

Vielleicht sitzen Sie jetzt gerade beim Frühstück und beißen in eine knackige Semmel, ein schönes Stück Vollkornbrot oder in einen süßen Striezel.

 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich mag Brot. Ich liebe es, in eine Bäckerei zu gehen. Dort duftet es so wunderbar nach frischgebackenem Brot und mir lachen die verschiedensten Brotsorten entgegen. Dort kann ich nach Belieben auswählen. Jede und jeder hat wohl ein Lieblingsbrot. Manche haben es gerne mit vielen Körnern, andere mit Nüssen, die dritten stehen auf Karottenbrot.

 

Unser Leben in Europa ist undenkbar ohne Brot. Wie sehr es zu unserem Leben gehört, merke ich oft erst im Urlaub, wo mir nach ein paar Tagen mein Brot zu fehlen beginnt. Und doch denke ich normalerweise nicht darüber nach, denn Brot ist einfach da. Ich kaufe es ein. Es liegt immer in meiner Küchen und ab und zu backe ich mir auch eines selbst.

 

Wir haben viel Brot. Mehr als wir essen können. So liegt es auch in unseren Straßengräben, in den Mülltonnen oder verschimmelt manchmal in der Küche. An jedem Tag wird allein in Wien so viel Brot einfach weggeworfen, wie in Graz täglich gegessen wird. Und wir wissen, dass es so viele gibt, die gleichzeitig hungern. Letztes Jahr waren es nach Berichten der BBC weltweit eine Milliarde Menschen. Das ist ca. jeder siebente Mensch auf der Erde. Jedes Jahr sterben etwa 8,8 Millionen Menschen, vor allem Kinder, an Hunger. Das macht einen Hungertoten alle 3 Sekunden. Die meisten Hungernden leben in Asien und der Pazifikregion (524 Millionen), gefolgt von Afrika südlich der Sahara (206 Millionen), Lateinamerika (52 Millionen), dem Nahen Osten (38 Millionen) und osteuropäischen Ländern, sowie in Gebieten in denen Krieg oder Naturkatastrophen wüteten. 50 % der Hungernden sind Kleinbauern, die hauptsächlich von dem leben, was sie selbst anbauen. Da sie arm sind, können sie bei Missernten oder schlechten Preisen nicht ausreichend Nahrungsmittel dazukaufen. Aber wir brauchen gar nicht so weit zu schauen, auch bei uns gibt es Menschen, die sich ihr Essen nicht leisten können und die auf Sozialmärkte, Suppenküchen und ähnliche Einrichtungen angewiesen sind.

 

Menschen hungern und ich gehe mit meinem täglichen Brot oft so unachtsam um. Da geht es mir immer wieder wie dem Mann, der mir vor kurzem nach einem Gottesdienst gesagt hat: „Wissen’s Frau Pfarrerin ich trau mich schon gar nicht mehr das Vater unser zu beten!" Auf meine Frage, wieso denn das so sei, sagte er: "Na, wegen der Bitte um das tägliche Brot. Ich habe doch so viel und andere müssen hungern, da kann ich doch nicht um noch mehr Brot bitten."

 

Ich glaube gerade deshalb sollten wir weiter das Vater unser beten und um’s tägliche Brot bitten, nicht nur für uns selbst, sondern gerade für die Armen dieser Welt. Wir müssen Gott darum bitten, dass er uns dabei helfen möge, Wege zu finden, dass jeder Mensch auf dieser Erde sein Brot, seine Schale Reis oder Mais hat, die er oder sie zum Leben braucht.

 

Brot ist nicht nur Brot, das ist mir bewusst geworden. Brot, das ist Leben. Im Brot haben die Kräfte und Gaben der Erde und der Segen Gottes ihr Zuhause gefunden. Im Brot leuchten die Strahlen der Sonne, der erfrischende Regen, der fruchtbare Ackerboden, das Wogen des Kornfeldes, das Wissen der Menschen, das Mahlen der Mühlen, das Salz der Erde, die Hitze des Ofens, die menschliche Arbeit und der Segen Gottes - das alles leuchtet in jedem Stück Brot. Brot zu haben ist deshalb ein Segen. Das will ich nicht vergessen und deshalb will ich weiter darum bitten und beten.