Das Evangelische Wort

Sonntag, 15. 08. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Ingrid Tschank (Gols, Burgenland)

 

 

Ein Mann wollte sich bei seinem Nachbarn entschuldigen, weil er über ihn schlecht geredet hatte. "Ich würde alles tun, um das wieder gut zu machen". Der Nachbar hörte sich die Entschuldigung an und sagte dann zu ihm: "OK! Bist du bereit, dafür zwei Aufgaben zu erfüllen?" "Ich bin bereit, alles zu tun, weil es mir ganz ehrlich leid tut!" Der Nachbar gab ihm die erste Aufgabe: "Hier ist ein Eimer mit Gänsefedern. Du sollst auf dem Weg von meinem zu deinem Haus diese Federn verteilen, eine links, eine rechts, usw., bis zu deinem Haus. Wenn du das getan hast, kommst du zurück, und dann gebe ich dir die zweite Aufgabe."

 

Der Nachbar war froh, dass er seinen Fehler wieder gut machen konnte, willigte ein, und verteilte die Federn. Als er fertig war, kam er zurück. "So, ich habe alles erledigt! Wie lautet denn jetzt die zweite Aufgabe? Ich bin ja so froh, dass ich meine Worte wieder ungeschehen machen kann!" Da sagte der Nachbar zu ihm: "Deine zweite Aufgabe ist, alle Federn wieder in diesen Eimer aufzusammeln." "Waaaas?? Das ist doch UNMÖGLICH!!!! Viele Federn sind doch irgendwohin geflogen, die werde ich doch nie mehr finden!!" „Siehst du“, sagte der Nachbar, genauso ist es mit Worten. Einmal raus, sind sie NIE WIEDER zurückzuholen.

 

Ein Wort kann alles verderben. Verletzende Worte setzen sich in der Seele fest und breiten sich aus wie ein Gift. Die Palette reicht von leiser Ironie, sarkastischem Spott, indiskreter Taktlosigkeit bis zum nackten Schimpfwort, aber auch von der herablassenden Demütigung bis hin zu einer diskriminierenden Hass-Sprache. Dagegen sagt ein Sprichwort: „Worte sind Schall und Rauch“, und meint damit, dass Worte vergehen, dass sie flüchtig sind wie Schall und ungreifbar wie Rauch.

 

Obwohl Worte den Körper nicht äußerlich verletzen, denn niemand hat sich jemals an einem Wort den Kopf eingerannt oder das Bein blutig gestoßen, sagen wir doch, dass uns Worte „weh tun“, dass sie uns „treffen“, dass sie uns „etwas antun“. Anders als bei körperlicher, macht sich bei sprachlicher Gewalt weder jemand die Finger schmutzig noch werden sichtbare Wunden hinterlassen. Sie ist in einem gewissen Sinne immer „unsichtbar“. Die Verletzung oder Missachtung wird nicht ausdrücklich, sondern vielmehr zwischen den Zeilen ausgesagt.

 

So ist es Julia, einer erfolgreichen Geschäftsfrau, vor ein paar Tagen ergangen. „Ich war genervt“, erzählt sie mir, „der Tag war sehr anstrengend und da ist mir meiner Mitarbeiterin gegenüber etwas herausgerutscht, was ich nicht hätte sagen sollen. Aber ein falsches Wort kann man nicht mehr zurücknehmen. Leider! Merkbar gekränkt ist sie nach Dienstschluss gegangen. Im weiteren Gespräch ermutige ich sie, ihre Mitarbeiterin um ein Gespräch darüber zu bitten und sich bei ihr zu entschuldigen.

 

Gott sei Dank kann ein einziges Wort auch einen Neubeginn schaffen. „Verzeihung!“ ist so ein Wort. Oder: „Es tut mir leid! Ich habe das nicht so gemeint.“ Oder: „Ich habe mich geirrt. Du hattest Recht!“ Ein liebevolles Wort kann der Anfang sein, der vieles wieder gut werden lässt und die Wunden in der Seele beginnen zu heilen.

 

Von Jesus lerne ich, wie wichtig es ist, solche Worte zu sagen. Ein liebevolles Wort kann der erste Schritt sein. Er hat gesagt: „Was war, muss dich nicht mehr belasten.“ Er freut sich über jeden, der neu anfängt und es besser machen will. Er ist bei denen, die den ersten Schritt wagen.

 

Es braucht Mut im Herzen, nicht nach Ausflüchten zu suchen, sondern sich seine eigenen Schwächen einzugestehen, dann auf den anderen offen und ehrlich zuzugehen und sich zu entschuldigen. Aber wer andere verletzt, sei es absichtlich oder unabsichtlich, der trägt auch die Verantwortung, den ersten Schritt zur Versöhnung zu machen.