Das Evangelische Wort

Sonntag, 22. 08. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Superintendent Paul Weiland (St. Pölten, Niederösterreich)

 

 

 

Zuletzt war es nach dem Unglück bei der Love-Parade in Duisburg wieder zu hören, auch von Theologen: Die Katastrophe sei eine Strafe Gottes für falsches und sündiges Verhalten. Nach Naturkatastrophen ist ähnliches auch immer wieder zu hören.

 

In mein Gottes- und Glaubensbild passen solche Aussagen nicht. Nicht, dass ich die Sünde leugnen würde oder auch nicht wüsste, dass die Bibel immer wieder vom Gericht Gottes und auch vom strafenden Gott spricht.

 

Aber die Bibel macht das in einer so differenzierten Weise, dass es meiner Meinung nach von der Bibel her nicht möglich ist, Katastrophen mit der direkten Verfehlung einzelner Menschen in Verbindung zu bringen, die dann noch dazu durch das direkte Eingreifen Gottes bestraft werden. Eine solche Verbindung herzustellen ist zwar menschlich verständlich, aber ganz und gar gegen die Bibel.

 

Im Johannesevangelium fragen die Jünger Jesus angesichts eines Menschen, der blind geboren wurde,  wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern? Jesus antwortet darauf: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.“

 

Das ist eine typische Frage für uns: Wer ist schuld? Wer hat gesündigt?  Es muss doch einer oder eine schuld sein. Jesus antwortet überraschend: Das Elend ist nicht da, um Schuldzuweisungen anzustellen, sondern um zu helfen. Und er heilt den Blindgeborenen.

 

Katastrophen sind kein Grund zu verurteilen, sondern ein Grund, dass wir aufbegehren und uns fragen: Warum musste das geschehen, auch nach dem Anteil der eigenen Schuld suchen, aber zugleich auch fragen: Was kann geschehen, um den Opfern, den Hinterbliebenen zu helfen und was kann geschehen, dass sich so etwas nicht wiederholt?

 

Die Geschichte der Sintflut, jene Naturkatastrophe zu Beginn der Menschheit, ist mit den Aspekten Schuld und Strafe auch nur teilweise beschrieben, weil als Pointe der Erzählung, die Bewahrung dazugehört, die in der Zusage Gottes gipfelt, „solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“  

 

Diese Bewahrungszusage spricht Gott nicht aus, weil er meint, dass Menschen ab jetzt sündlos wären. Er sagt sie, obwohl er weiß, wie die Menschen sind. „Das Dichten und Trachten des  menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“, stellt der Bibeltext im 1.Buch Mose unmittelbar vor der Zusage der Bewahrung fest. Anders gesagt: Keiner, der die Katastrophe überlebt hat, hat Grund anzunehmen, dass seine Schuld geringer sei.

 

Im Johannesevangelium stellt Jesus das sehr eindrücklich in der Szene mit der Ehebrecherin fest. Als die Schriftgelehrten ihn bedrängten, doch das Urteil gegen eine erwiesene Ehebrecherin, nämlich die Steinigung, zu fordern, sagt  er: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“. Tatsächlich – und das ist das biblische Menschenbild – sind alle Menschen auf die Bewahrung und Gnade Gottes angewiesen, weil alle Schuld auf sich laden.

 

Ich werde immer sehr vorsichtig, wenn Menschen sehr genau wissen, wie es ausgeht und wen was erwartet. Ich sage Ihnen ganz offen, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Bibel tatsächlich die beiden Möglichkeiten kennt, die Strafe und die Bewahrung. Ich weiß, dass Jesus dem Zöllner Zachäus, auch einem Sünder, sagt: Des Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Und ich weiß, dass Jesus dem Verbrecher am Kreuz in seinen letzten Lebensminuten sagt: Heute noch wirst du bei mir im Paradies sein.

 

Das alles ist für mich Grund, auch die Aussagen von Strafe und Gericht ernst zu nehmen und sie aus meinem Glauben und meiner Frömmigkeit nicht zu verdrängen, sie aber andererseits auch nicht als Damoklesschwert über die böse Menschheit zu hängen.

 

Gott ist jedenfalls einen ganz anderen Weg gegangen. Das Kreuz ist Sinnbild dafür, dass es Gott nicht um Rache und Strafe geht, sondern um Vergebung und Liebe, die auch in Erfahrungen des Leids und der Katastrophen neue Anfänge möglich macht.