Das Evangelische Wort

Sonntag, 29. 08. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Michael Chalupka (Wien)

 

 

In der Rue des Rosiers im Marais, dem alten jüdischen Viertel von Paris, herrscht große Konkurrenz zwischen den Falafelhändlern. Linkerhand stehen die Touristen an beim Falafelass Schlange, rechter Hand müssen sich die Verkäufer von Ma-Vi-Ma aus dem Geschäft bequemen und mit gratis Kostproben versuchen, den einen oder anderen Kunden zu ködern. Das Falafalass hingegen wirbt mit Tradition: „Seit 1979, oft kopiert und nie erreicht“. Konkurrenz belebt das Geschäft. Meine Tochter und ich haben uns für die traditionslose Seite der wenigen entschieden. Das hat auch seine Vorteile: Nicht Schlange stehen, weniger Auswahl, dafür kommt man schneller zum Ziel. Mit der Falafeltüte in der Hand sind wir dann einem Missionar begegnet. Äußerlich als orthodoxer Jude erkennbar, stand er an einem kleinen Tisch neben der Konditorei Finkelsztajn, auf dem Tisch nur ein paar Flugblätter. Wir hätten durchaus Zeit gehabt für ein kleines Missionsgespräch, aber das hatte sich schnell erledigt. Ob wir denn Juden seien, fragte er uns in breitestem Amerikanisch. Nachdem wir verneinen mussten, verlor er sofort das Interesse an uns. Wir gehörten nicht zur Zielgruppe. Wir waren auf einen Missionar gestoßen, der nicht missionierte, zumindest nicht Angehörige anderer Religionen.

 

Der Missionar war ein Schluchim, ein Gesandter von Rabbi Schneerson, der der Lubavitcher Gemeinde in Brooklyn als Messias gilt. Rabbi Schneerson bildete tausende junger Männer und Frauen aus, die er in alle Welt entsandte, - er selbst hat Brooklyn nur selten verlassen – um Jüdinnen und Juden dazu zu bewegen, die religiösen Gebote stärker zu beachten, etwa  das Anlegen der Tefillim, der Gebetsriemen, das Entzünden von Schabbatkerzen durch jüdische Frauen und Mädchen, und besonders das Tora-Studium und das koschere Essen. Deshalb gehörten wir nicht zur Zielgruppe des Schluchim im Pariser Marais.

 

Er machte uns allerdings ein Geschenk. Er verhalf uns zu einem Vater Tochter Gespräch. An dem Tischchen vor der Konditorei Finkelsztajn, gegründet 1945, bei Linzertorte und Apfelstrudel und einem Cafè creme, diskutierten wir unsere Missionserfahrungen. Wir werden nämlich immer auf Reisen missioniert. Auf dem Rathausplatz in München hat uns das vor zwei Jahren eine halbe Stunde gekostet, obwohl wir auf die Frage, ob wir Jesus als unseren Retter erfahren hätten, mit einem klaren Ja geantwortet hatten. Die junge Missionarin ließ sich in ihrer Begeisterung nicht bremsen. Es war eine Glaubensprüfung in doppelter Hinsicht. Vor der Patisserie Finkelsztajn kamen wir überein, dass uns die Missionare, die nicht missionieren, lieber sind.

 

Ich versuchte mich an einen Vers beim Buch des Propheten Jeremia erinnern – meine Tochter fand ihn dann auch gleich mittels I-Phone – bei dem es heißt:

 

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen. … Das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.

Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR;

 

Allen ist es ins Herz geschrieben und in ihre Sinne, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält und nach welchen Regeln das Zusammenleben funktionieren kann - und keiner soll den anderen belehren, soll sich überlegen und weise fühlen, denn alle können ihn erkennen, ob klein oder groß. Was wäre der Welt erspart geblieben, hätten sich die Missionare dieser Welt an diesen Prophetenspruch gehalten und nur durch ihr Leben und Vorbild gewirkt und nicht mit Macht, Gewalt und großen Sprüchen.

 

Wie er den Spruch des Propheten liest, darüber hätte ich mich mit dem Gesandten Rabbi Schneersons vor dem Kaffee Finkelsztajn ja noch gerne unterhalten. Aber wie gesagt: Kein Interesse, wir gehörten nicht zu seiner Zielgruppe.