Das Evangelische Wort

Sonntag, 05. 09. 2010,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Superintendentin Luise Müller (Innsbruck, Tirol)

 

 

Gott sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.

Und ich bin hernieder gefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Land in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt. (Exodus 3,6ff)

 

Der Traum vom gelobten Land ist ein Menschheitstraum. Uralt und hochaktuell. Es ist ein Traum von Freiheit. Freiheit von Zwängen, Freiheit von allem, was versklavt, Freiheit von faulen Kompromissen. Es ist der Traum von Sicherheit und Schutz, es ist der Traum von Selbstbestimmung und Emanzipation, von Reichtum und Unabhängigkeit. Der Traum von Milch und Honig.

 

Den Traum vom gelobten Land wird geträumt in Ägypten. Ägypten, das ist nicht nur Stress und Angst, das ist auch vordergründige Bequemlichkeit. Bequemlichkeit die erkauft ist durch Sklaverei. Ägypten, das sind Fleischtöpfe, aber erst beim verklärten Erinnern.

 

Dazwischen, zwischen Ägypten und dem gelobten Land steht unausweichlich der Exodus. Und der Exodus bedeutet: einen harten Weg auf sich nehmen. Exodus, das heißt sich wehren gegen die Ausbeutung und die Unterdrückung. Exodus heißt auch, dass ich mich in Bewegung setzen muss und mich der Gefahr ausliefern. Der Exodus fordert von allen das Letzte.

 

So war es auch damals, als zu biblischen Zeiten die Gruppe um Mose, Aaron und Miriam aus Ägypten auszogen ist, aus der Sklaverei und sich auf den langen Weg in die Freiheit begeben hat. Die Geschichte von den vierzig Jahren in der Wüste kennen wir wahrscheinlich noch aus dem Religionsunterricht. Es ist eine Geschichte voller Frustrationen, voller Sorgen, aber letztlich auch eine Geschichte der Rettung.

 

Wenn heute Menschen ihr Ägypten verlassen, ganz egal, ob dieses Ägypten in Afrika oder dem Irak liegt, ob in Tschetschenien oder Armenien und sich aufmachen ins gelobte Land, das sie irgendwo in Europa erwarten, möglicherweise in Österreich, kann es sein, dass sie es nicht wirklich bei uns finden. Nein, schreien wir, bei uns ist kein Platz für dich, so schlimm war dein Ägypten nicht, geh wieder zurück! Unsere Zeitungen schreiben davon, dass Alarmstimmung herrscht, weil so viele zu uns wollen, Menschen, die nicht sind wie wir, nein, die sollen bleiben wo der Pfeffer wächst, wir wollen unsere Ruhe. Und so machen wir unsere Grenzen dicht und dichter, machen die Türen zu unserem gelobten Land nur für ausgewählte Gruppen auf. Und wir merken gar nicht, dass aus unserem gelobten Land Ägypten werden kann. Ein Land der faulen Kompromisse, ein Land der vordergründigen Ruhe.

 

Aber beim genauen Hinsehen sind wir der Gefahr erlegen, dass wir längst anderen Herren dienen, nicht mehr dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat und Menschen zu allen Zeiten aus ihrer Sklaverei herausgeführt hat. Die Bibel beinhaltet viele große Erzählungen von Aufbruch und Unterwegssein, neuer Heimat, trostlosen Sklavenexistenzen und von gelobten Ländern. Menschen, die gestern noch dachten, sie seien in Sicherheit und Freiheit, müssen heute weg aus den gewohnten Verhältnissen und werden zu heimatlosen Fremden. Möglicherweise sind ja wir morgen auf der Straße und hören dann für uns den tröstlichen Satz: Gott sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin hernieder gefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Land in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt.

 

Und wenn wir uns dann auf den Weg machen, dann hoffe ich sehr, dass wir nicht vergeblich nach diesem Land suchen, in dem Milch und Honig auch für uns Fremde fließen.