Zwischenruf

Sonntag, 27. 02. 2011,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Superintendent Paul Weiland (St. Pölten, Niederösterreich)

 

 

Was hat Kirche mit Wehrpflicht zu tun? Vordergründig nicht sehr viel. Außer man sieht vielleicht auf die Militärseelsorge, die ja speziell für die Begleitung der jungen Menschen in ihrer Zeit des Wehrdienstes eingerichtet worden ist. Natürlich ist die Militärseelsorge auch für die Berufssoldaten da,  aber ob eine Militärseelsorge in der derzeitigen Struktur im Fall eines reinen Berufsheeres eine Berechtigung hat, kann gefragt werden. Gibt es doch auch für andere Berufsgruppen keine eigenen hauptamtlichen Seelsorger. Für sie alle sind in den Wohnsitzgemeinden die zuständigen Pfarrerinnen und Pfarrern da.

 

Ein zweiter Zugang könnte ein zutiefst pazifistisches Anliegen sein, das auch aus einer Glaubensüberzeugung kommen kann, und jegliche Gewalt ablehnt, auch das Training und die Übung dafür, und deshalb gegen die Wehrpflicht und überhaupt gegen jede Form des Heeres und der militärischen Gewalt ist.

 

Keiner dieser beiden Zugänge ist heute meiner. Mein Zwischenruf geht die Frage Wehrpflicht „ja oder nein“ von einer ganz anderen Seite an. Ich gebe zu, es ist ein persönlicher Zugang. Und ich gebe auch zu, ich habe - ähnlich wie der Herr Verteidigungsminister - keinen Wehrdienst absolviert. Zivildienst hat es zum Zeitpunkt meiner Musterung noch nicht gegeben, aber Theologen, die beabsichtigt haben in den kirchlichen Dienst zu gehen,  konnten sich vom Präsenzdienst freistellen lassen.

 

Inzwischen bin ich in einem Alter, das die Zukunft schon noch im Auge hat, das aber auch auf eine relativ vielfältige Erfahrung in vielen Lebensbereichen zurückblicken kann und so manches an Erkenntnissen und Einsichten gewonnen hat.  Und so eine Grunderfahrung von mir ist, dass Menschen das, was unter einem „erfüllten Leben“ verstanden werden kann, dann leichter finden können, wenn sie nicht nur Empfangende, sondern auch Gebende sind. Beides sollte in einer Balance zueinander stehen.

 

Mitbegründet liegt darin wohl auch der großartige Einsatz der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in so vielen Bereichen, der heuer zu Recht im Jahr der Freiwilligkeit, bzw. im Jahr des Ehrenamts, wie es in unserer Kirche heißt, anerkannt und gewürdigt wird.

 

Großartig, was hier in den verschiedenen Bereichen geleistet  wird, und schön, dass die Kirche beim ehrenamtlichen Einsatz quantitativ und qualitativ ganz vorne zu finden ist. Das hat seine biblische Begründung. Die Bibel versteht unter Gemeinschaft ein Füreinander-Dasein, das von Geben und Nehmen, Investieren und Empfangen geprägt ist. Im Johannesevangelium sagt Jesus: “Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt” (Johannes 13,34)

 

Der Dienst am Nächsten, in welcher Form auch immer, ist so ein starkes und konkretes Zeichen der Liebe zu den Menschen. Natürlich kann das vom Anspruch her auch übertrieben werden. Der Wahlspruch von Wilhelm Löhe, einem evangelischen Theologen im 19. Jahrhundert und Gründer eines Diakonissenmutterhauses, war: „Mein Lohn ist, dass ich dienen darf.“

 

Das mag für manche von Ihnen ein wenig überzogen, vielleicht sogar zynisch klingen, aber es bringt zum Ausdruck, dass Geben immer auch Empfangen heißt.

 

Da fast alles, was im Leben wichtig ist, eine Sensibilisierung, ein Anleiten, ein Hinführen braucht, in unserer Zeit auch nicht bei allen vorausgesetzt werden kann, dass aus einer christlichen Grundhaltung heraus so ein Dienst gemacht wird, kann für mich so ein Einsatz für die Gemeinschaft für einen gewissen Zeitraum, eine Lebensschule für jeden und für jede selbst und für ein besseres Miteinander sein.

 

Mit der Abschaffung der Wehrpflicht, so fürchte ich, kann auch das Bewusstsein, dass ein Einsatz für die Gemeinschaft gut und sinnvoll ist, verloren gehen. War das Motto früher Wehrdienst gegen Zivildienst, so ist heute längst ein „und“ aus diesem „gegen“ geworden. Verpflichtung zu einem zeitlich begrenzten Dienst in der Gemeinschaft für alle, auch für Frauen, als Wehrdienst oder als sozialer Dienst, das ist meine Antwort auf die Frage „Wehrdienst ja oder nein“.