Zwischenruf

Sonntag, 05. 06. 2011,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Superintendentin Luise Müller (Innsbruck)

 

 

Kleinkariert ist seine Krawatte, und sie passt eigentlich so gar nicht zu ihm, seinem großzügigen, freundlichen Wesen. Er trägt sie gezwungenermaßen, weil sein Chef ihn dazu verpflichtet hat. Nicht die sommerlichen Temperaturen und auch nicht der schon fortgeschrittene Tag erlauben eine gewisse Lockerheit. Die Vorschriften müssen eingehalten werden.

 

Eine Kollegin fragt mich, womit ich denn meine, zugegebenermaßen unübliche, Entscheidung begründe. Sie will wissen: Wo steht denn das in unseren Kirchengesetzen? Ausnahmsweise kann ich mich an den Paragraphen erinnern. Aber eigentlich ging’s gar nicht darum, sondern es stand unausgesprochen die Frage im Raum: Darfst du das? Was nimmst du dir da heraus? Geht das mit rechten Dingen zu?

 

Ich bin eigentlich eine, der Recht und Ordnung wichtig sind. Sie sind ein unerlässlicher Teil meiner Arbeit und meines Lebens. Ich halte mich an Vereinbarungen und mag es sehr, wenn sich andere auch dran halten. Ich mache meine Termine gerne langfristig, weil ich meine Arbeitskraft gut einteilen muss, um zurecht zu kommen. Und ja, auch die Kirchengesetze helfen mir meistens. Ich plane, ich strukturiere, ich organisiere und ich entscheide.

 

Aber dann gibt es ja auch noch die andere Seite im Leben. Die, die sich weder von Terminkalendern, noch von Vorschriften und schon gar nicht von Angst vor dem Chaos bestimmen lässt. Die Seite, die Überraschungen durchaus mag. Die Seite, die sich auch mal treiben lässt, die spielerisch sein kann, kindlich, großzügig. Die Seite, auf der geliebt und gefeiert und gestaunt wird. Die Seite, wo die ganze Freiheit der Kinder Gottes zu spüren ist.

 

Die Seite, die von der Sklaverei in die Selbstbestimmung führt. Und diese Seite des Lebens bringe ich mit Gott in Zusammenhang. Im 2. Buch Mose steht: Ich bin dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland aus der Sklaverei geführt habe. Und dann folgt der Satz: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Das erste von den zehn Geboten. Oder, wie es jemand formuliert hat: Die erste von den zehn großen Freiheiten.

 

Manchmal gebärden sich Recht und Ordnung gottgleich. Unumstößlich. Manchmal sperren sie uns ein, halten uns klein, versklaven uns, rauben uns Kraft. Sie machen uns gleichförmig und normieren uns. Da ist von Freiheit keine Spur.

 

Im neuen Testament, in den Evangelien, werden uns Geschichten erzählt, wie Jesus mit solchen Situationen umging. Eine dieser Geschichten handelt davon, dass Jesu Jünger am Sabbat durch die Felder streifen und Ähren abpflücken. Damit übertreten sie die Sabbatgesetze. Eine andere Erzählung berichtet, dass Jesus selber gesetzesbrüchig wird.

 

Natürlich bleibt solches Verhalten nicht unbemerkt. Und auf die Frage, warum seine Jünger etwas tun, was verboten ist, antwortet Jesus: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. In der Geschichte, wo er selber das Gesetz übertritt steht zum Schluss: Sie trachteten, wie sie ihn umbrächten.

 

Manchen macht es Angst, wenn einer die Ordnung stört, sie hinterfragt, Alternativen vorschlägt oder gleich etwas anderes tut als vorgesehen. Wo kämen wir da hin, heißt es schnell.

 

Ich will keinesfalls die Anarchie, weder im Privaten noch im Öffentlichen und schon gar nicht in meiner Kirche. Aber ich warne vor Erstarrung. Wo es nur noch um das Gewohnte geht, um die Feststellung: Das haben wir schon immer so gemacht, ist das Leben dem Tod gewichen, die Freiheit des Evangeliums einer menschenunwürdigen Knechtschaft.

 

Das ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen: Die Freiheit der Kinder Gottes hochzuhalten, Sklaverei aufzudecken. Es bleibt uns nicht erspart, jedes Mal von Neuem abzuwägen. Gott Gott sein zu lassen, und alles andere als kleinkarierte Machtspiele zu entlarven.