Zwischenruf

Sonntag, 25. 09. 2011,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Superintendentin Luise Müller (Innsbruck)

 

 

150 Jahre sind es nun schon, dass im Jahr 1861 durch den Kaiser das Protestantenpatent erlassen wurde. Das hieß für die Evangelischen, dass anstelle der privaten Religionsausübung nun eine viel größere Öffentlichkeit möglich war. Das alte Verbot der Kirchtürme, des Glockengeläuts, fiel, und es schien, dass sogar in Tirol nun der Weg frei werden würde, um eine evangelische Gemeinde zu gründen. Aber weit gefehlt! Turbulente Szenen werden aus dem Landtag berichtet, Liberale gegen Konservativ-Katholische mit einem eindeutigen Sieg der Konservativen. Noch einmal Enttäuschung, und wieder keine Möglichkeit, eine Gemeinde zu gründen. „Glaubenseinheit“ hieß das alles übertönende Schlagwort, und die Glaubenseinheit wurde in vielerlei Weise beschworen gegen Mitchristen und -christinnen evangelischer Konfession.

 

Doch was im Jahr 1781 nach dem Toleranzpatent, das den Evangelischen immerhin die private Religionsausübung erlaubt hätte, noch möglich gewesen war, nämlich ein Verbot evangelischen Lebens in Tirol, das war jetzt nicht mehr denkbar. Einzelne machten sich stark für mehr Toleranz, so z.B. auch der liberale Landtagsabgeordnete Dr. Norbert Pfretschner aus Jenbach. Und so gab es nach ein paar mühsamen Jahren, die ich als ein letztes Aufbäumen gegen die Evangelischen verstehe, endlich im Jahr 1876 die Gründung der ersten evangelischen Pfarrgemeinde auf Nordtiroler Boden.

 

Toleranz ist ein schwieriges Geschäft. Das war damals so, und das ist heute nicht anders. Denn Toleranz meint nicht ein desinteressiertes Zulassen des anderen, Fremden. Ganz am Anfang steht die Neugier auf den Menschen, der in einer anderen Kultur, mit einer anderen Religion lebt. Dann folgt die Phase des Kennenlernens und  der Information: welche Eigenarten hat er/sie, welche Besonderheiten hat seine /ihre Religion.  Und dann kommt die Phase des Vergleichs: Wie unterscheidet sich das von meinen Überzeugungen? Oder: Wie deckt sich das mit meinen Überzeugungen? Und an dem Punkt ist eine Entscheidung nötig: zu Respekt und Akzeptanz – oder eben zur Ablehnung.

 

Entscheide ich mich für Toleranz, dann entscheide ich mich für das Aushalten von Meinungen, Verhaltensweisen und Lebensentwürfen, die den meinen zuwiderlaufen. Das ist gar nicht so einfach. Denn das Vertraute, Eigene scheint ja das Zuverlässige zu sein, das Zielführende. Mit der Toleranz stellt sich auch die Frage nach der Tragfähigkeit der eigenen Meinung. Und was ganz wichtig ist: Indem ich den anderen neben, ja mit mir, toleriere, muss ich auch meine Macht mit ihm teilen, muss ich ihm dieselben Rechte und Pflichten zugestehen, die ich habe.

 

Heute leben in Tirol so wie im übrigen Österreich Menschen mit einer Vielzahl von weltanschaulichen Hintergründen. Verschiedene christliche Konfessionen, Angehörige anderer Weltreligionen, aber auch weitgehend säkularisierte Menschen. Und möglicherweise auch solche, die sich ihre Religion selber zusammenbauen aus den verschiedensten Bestandteilen. Manchmal wünsche ich mir, dass unser Zusammenleben weniger von Machterhalt und Desinteresse als von echter Toleranz geprägt ist. Modelle dazu gibt es einige. Ich für meinen Teil propagiere das Modell der „Versöhnten Verschiedenheit“, das von den evangelischen Kirchen für die christliche Ökumene vorgeschlagen ist. Es lässt sich gut auf das Zusammenleben der verschiedensten Weltanschauungen ausdehnen, indem Unterschiede wahrgenommen, aber darin nicht von vorneherein eine Bedrohung sondern, ganz im Gegenteil, eine Bereicherung gesehen wird.