Zwischenruf

Sonntag, 20. 05. 2012,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Landessuperintendent Thomas Hennefeld

 

 

„Resistez“ - Am Brunnenrand des Tour de Constance, dem sogenannten Turm der Beständigkeit in Aiges-Mortes ist dieses Wort in Stein geritzt: Resistez – Widersteht! Ein kleines Zeichen mit großer Wirkung. Es stammt von der verfolgten Hugenottin Marie Durand, die wegen ihres reformierten Glaubens seit ihrem 18. Lebensjahr im Frauengefängnis der südfranzösischen Stadt eingekerkert war. Der König und die katholische Kirche setzten in dieser Zeit, dem 18. Jahrhundert, alles daran, den reformierten Glauben in Frankreich auszulöschen. Es kam zur Massenflucht, zu Verhaftungen und Hinrichtungen. Erst 38 Jahre später wurde Marie Durand begnadigt. In diesen vielen Jahren wurde die standfeste Hugenottin, die nicht bereit war, ihrem Glauben abzuschwören, zur Seelsorgerin ihrer verzweifelten Mitgefangenen. Sie sandte Briefe an Gemeinden im In- und Ausland und machte darin auf das Los der Verfolgten aufmerksam.

 

In der Zeit von Verfolgung und Unterdrückung sind Klugheit, Mut und Geschick gefragt. So ein Verhalten legten die Hugenotten an den Tag, als sie das Hugenottenkreuz zu einem Geheimsymbol und Erkennungszeichen machten. Ähnlich taten es Franzosen in der Zeit der deutschen Besatzung während des 2. Weltkrieges. Sie schickten einander Postkarten oder Fotos vom Tour de Constance und die Eingeweihten wussten, was gemeint war: „Widersteht“, „Haltet aus“. Der Gestapo blieb dieses Zeichen verborgen.

 

Resistez - Widersteht - das kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Auch in einem demokratischen Rechtsstaat kann es zu einer Situation kommen, wo Menschenrechte verletzt werden. Auch dort kann es notwendig sein, Zeichen zu setzen gegen Unmenschlichkeit und Menschenverachtung, gegen Gesetze, die das Leben anderer gefährden wie das im Asylwesen immer wieder der Fall ist, und es gilt zu widerstehen der Hetze und ewig gestrigem Gedankengut, von einzelnen Gruppen aber auch von Politikern, ja, besonders in einem Land, in dem man als Staatsbürger keine Angst um Leib und Leben haben muss, ist dieser Aufschrei gegen Unmenschlichkeit ein christliches Gebot.

 

Am 8. Mai fand anlässlich der Befreiung vom Nationalsozialismus am Heldenplatz eine Veranstaltung statt, getragen von unterschiedlichen Gruppen der Zivilgesellschaft. Unter dem Motto „Zeichen setzen“ wurde der Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes, der rassisch Verfolgten, der Widerstandskämpfer, der Wehrdienstverweigerer und Desserteure gedacht. Zum Glück gab es dieses Zeichen, denn sonst wäre das Totengedenken mit dem Aufmarsch deutschnationaler Burschenschafter die einzige Feier an diesem symbolträchtigen Ort geblieben.

 

Die alten Geister sind nicht tot, im Gegenteil, sie verbinden sich mit neuem unheilvollem Gedankengut. Im ungarischen Debrecen wurde eben erst eine Gedenktafel enthüllt in Erinnerung an den Reichsverweser Miklos Horthy, jenem Staatschef, der sich mit Hitler verbündete, 1937/38 ähnliche Gesetze wie die Nürnberger Rassengesetze einführte und dafür mitverantwortlich war, dass 400.000 Jüdinnen und Juden 1944 in Konzentrationslager gesteckt wurden. Dieser Mann wird im Jahr 2012 geehrt und diesmal nicht nur von Rechtsextremisten.

 

Es braucht andere Zeichen und Mahnmale, nicht nur, um die Gräuel von damals nicht zu vergessen, sondern um zu verhindern, dass sich mitten in unserer Gesellschaft eine neue Form der Unmenschlichkeit breitmachen kann. Es gilt, Zeichen zu setzen, bevor wir wieder Erkennungszeichen brauchen, weil offener Widerstand nicht mehr möglich ist.

 

Solche Mahnmale wie der Tour de Constance sind stumme Zeugen gegen Unrecht und Gewalt wie sie heute, auch in dieser Stunde, an so vielen Orten und Plätzen dieser Welt passieren. Aber die Welt ist auch voll von Menschen, die aus ihrem Glauben heraus, aus ihrem Gottvertrauen, dem Bösen widerstehen, es nicht hinnehmen, wenn gegen Minderheiten gehetzt wird oder ethische Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Sie geben Hoffnung, dass auch in Zukunft freie Geister aufstehen, die gegen Unrecht protestieren und Zeichen setzen, Menschen, die nicht aus Trägheit oder Feigheit still halten sondern bereit sind zum Widerspruch und zum Widerstand.