Erfüllte Zeit
Sonntag 6. 5. 2001 
7.05 Uhr - 8.00 Uhr
,  Radio Österreich 1

 

"Das Streitgespräch beim Tempelweihfest" 
(Johannes 10, 27 – 30)
kommentiert von Veronika Prüller-Jagenteufel

Charles Péguy "Das Geheimnis des Gerichts

Treffpunkt Ökumene: 
"Eine zweite Chance für die Ehe"
Ist die Ehe ein "weltlich Ding" oder ein Bund, der im Himmel geschlossen wird? Auch wenn diese Fragestellung akademisch erscheinen mag, die Antwort, die man darauf findet, hat doch sehr praktische Auswirkungen: Denn während es etwa für evangelische Christen möglich ist, nach der Scheidung wieder christlich zu heiraten, gibt es diese Möglichkeit für römisch-katholische Christen in der Regel nicht. Es sei denn, die kirchlich geschlossene, erste Ehe wird für ungültig erklärt. Ist dies nicht der Fall, sind wiederverheiratete Geschiedene in der römisch-katholischen Kirche zumindest theoretisch vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen.

Aber, jenseits aller theologischer Überlegungen, stellen sich immer mehr Gläubige die Frage: haben nicht alle, die Sünden, Fehler und Irrtümer bereuen, eine zweite Chance verdient? Unabhängig davon, welcher Kirche sie angehören. Wie passt es mit der Rede vom barmherzigen Gott zusammen, wenn Wiederverheiratete von den Sakramenten ausgeschlossen sind?

Unter dem Titel "Eine zweite Chance für die Ehe" zeigt der Treffpunkt Ökumene wie verschiedene Kirchen mit dem Thema Scheidung und Wiederverheiratung umgehen.

Gestaltung: Brigitte Krautgartner

 

Evangelienkommentar
"Nirgends hin verloren gehen" - eine aufgeschnappte Gedichtzeile, die mich seit langem begleitet. In den eben gehörten Versen begegnet sie mir wieder als tröstliche und mich tief berührende Verheißung der Liebe Gottes.

Die Leseordnung der Sonntagsevangelien heute und in den nächsten Wochen bis Pfingsten stellt uns zentrale Stellen aus dem Johannesevangelium vor, und die kreisen alle um diese Liebe und um das besondere Ineinander von Jesus und seinem Vater, um die Einheit von Gott und Jesus Christus im heiligen Geist. Die Osterbotschaft der Auferstehung wird so zu ihrem Ursprung zurückgeführt: zum dreieinigen Gott.

Die Verse, die wir heute gehört haben, stammen aus einem Streitgespräch zwischen Jesus und anderen Juden, das Johannes beim Tempelweihfest in Jerusalem ansiedelt. Die anderen Juden hatten Jesus gedrängt: "Wenn du der Messias bist, wie du das behauptest, denn erweise es endlich, zeig dich als solcher!" Jesus sagt: "Aber das tue ich doch" und verweist sie auf sein Wirken, auf das, was die erleben, sehen und erkennen, die in seiner Nähe sind und seine Wege mitgehen. Und er sagt zu den anderen: "Ihr versteht das wohl deswegen nicht, weil ihr zu weit weg von mir seid. - Meine Schafe aber hören auf meine Stimme. Und ich führe sie ins ewige Leben, keines geht verloren. Denn: in mir und durch mich wirkt der Vater, wirkt Gott, denn wir sind eins."

Bevor wir uns diese Sätze genauer ansehen können, ist wohl ein Wort zu den Schafen zu sagen. Vielleicht stolpert so mancher beim Zuhören darüber. Für viele ist es zurecht anstößig, mit einem Schaf verglichen zu werden. Schafe gelten als dumm und unmündig. Und es ist unbedingt richtig, sich dagegen zu wehren, in der Kirche als Dummerl behandelt zu werden, das seinen Weg nicht selber findet. Ich möchte es klar sagen: Wer die Rede von Hirt und Herde dazu verwendet, unkontrolliert andere zu beeinflussen und zu befehligen, kann sich dabei nicht rechtens auf die Evangelien berufen! Wenn die Evangelisten dieses Bild aufgreifen, geht es ihnen um etwas anderes. Für sie waren Schafe und Hirten ein ganz alltägliches Bild. Sie wussten, wie viel Respekt vor seinen Tieren ein Hirte braucht, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie wussten, dass die Schafe nur den akzeptieren, der sich als vertrauenswürdig erwiesen hat. Sie wussten, dass es die Aufmerksamkeit und den Mut des Hirten braucht, um die Herde gegen Räuber und wilde Tiere zu verteidigen. Sie wussten auch, dass die Herde dem Hirten nicht gehört, sondern dass gleichsam beide, Hirt und Herde, im Dienste des Besitzers stehen und so etwas wie eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden. Im Bild des Hirten und der Schafe geht es - entgegen unserer heute leider allzu oft berechtigten Verdachtsmomente - um Vertrauen und Aufeinander-angewiesen-Sein, nicht um Kontrolle! Klar sagt das auch die Rede vom guten Hirten, die im Johannesevangelium unmittelbar vor der heutigen Stelle steht.

Kehren wir nun zu diesem Text zurück. Sein Thema ist eigentlich gar nicht die Rede vom guten Hirten, an die es zwar anknüpft, sondern eher das Zueinander von Christus und den Seinen und dem Vater. Gefragt, ob er der Messias ist, spricht Jesus von dem, was er den Seinen vermittelt aus seiner Einheit mit Gott heraus, nämlich: ewiges Leben, nicht verloren gehen, nicht entrissen werden. In Gottes Hand sind wir alle geborgen. Gott lässt uns nicht fallen und niemand kann uns der Hand Gottes entreißen.

Das scheint mir die Botschaft zu sein, die Johannes uns zu sagen versucht: Jesus und der Vater sind eins - und wir sind eingeladen in diese Einheit, Innigkeit und Geborgenheit. Der Weg dazu, den uns Johannes vorstellt, ist der: sich in die Nähe Jesu zu begeben und seinen Weg mitzugehen.

 

Charles Péguy "Das Geheimnis des Gerichts"
Vater unser im Himmel, mein Sohn wusste recht gut, wie er's anstellen musste um zu binden die Arme meiner Gerechtigkeit und zu lösen die Arme meiner Barmherzigkeit. (Ich rede nicht von meinem Zorn, der nie etwas anderes war als meine Gerechtigkeit. Und als meine Liebe, zuweilen.)
Und jetzt muss ich als Vater sie richten. Soweit man überhaupt richten kann, als Vater. Ein Mann hatte zwei Söhne. Soweit man dazu noch fähig ist. Ein Mann hatte zwei Söhne. Man weiß, wie das zugeht, wenn ein Vater Gericht hält. Es gibt ein bekanntes Beispiel. Man weiß, wie das zuging, als der Vater Gericht hielt über den Sohn, der in die Fremde gegangen war und der heimkam. Der Vater hat dabei noch am meisten geheult.

Das war's, was mein Sohn ihnen erzählt hat. Das eigentliche Geheimnis des Gerichtes hat mein Sohn ihnen anvertraut. Und so kommen sie mir jetzt vor; so seh' ich sie jetzt;
So bin ich gezwungen, sie nunmehr zu sehn. Ebenso wie die Kielspur eines schönen Schiffes immer breiter wird, bis sie verschwindet und sich verliert;
Doch beginnt sie mit einer Spitze, welche die Spitze des Schiffes selber ist.
So breitet sich auch die unendliche Kielspur der Sünder, bis sie verschwindet und sich verliert;
Doch beginnt sie mit einer Spitze, und diese Spitze kommt auf mich zu;
Sie ist auf mich gerichtet.
Sie beginnt mit einer Spitze, welche die Spitze des Schiffes selber ist. Und das Schiff ist mein eigener Sohn, der alle Sünden der Welt trägt;
Und die Spitze des Schiffes sind die beiden gefalteten Hände meines Sohnes. Und vor dem Blick meines Zorns, vor dem Blick meiner Gerechtigkeit halten sich alle verborgen hinter ihm. Und dieser ganze unendliche Zug der Gebete, diese ganze unendliche Kielspur breitet sich aus, bis sie verschwindet und sich verliert. Doch beginnt sie mit einer Spitze, und diese Spitze ist zu mir gewandt. Sie rückt auf mich zu.
Und diese Spitze sind jene drei oder vier Worte: Vater unser im Himmel; mein Sohn wusste wahrhaftig genau, was er tat. Und jedes Gebet steigt zu mir auf, verborgen hinter diesen drei oder vier Worten. Und es gibt eine Spitze der Spitzen. Die ist eben dieses Gebet, nicht nur in seinen Worten. Sondern in seiner Erfindung.

Vater unser im Himmel, das hat er ersonnen. Er war mit ihnen, er war wie sie, er war einer von ihnen. Vater UNSER. Wie ein Mann, der einen großen Mantel um seine Schultern wirft. Mir zugekehrt hatte er ihn sich umgetan. Er hatte sich um die Schultern geworfen den Mantel der Sünden der Welt.
Vater unser im Himmel. Und dahinter verbirgt sich der Sünder jetzt vor meinem Angesicht. Und so sehe ich's nun, so bin ich gezwungen, sie zu sehen. So stelle ich mir diesen Zug vor. Alles geht aus von einem Punkt, der mir zugekehrt ist, von der äußersten Spitze einer Spitze. Und dieser Punkt einer Spitze sind jene drei oder vier Worte, wie sie ersonnen, wie sie eingeführt wurden in die Schöpfung der Welt. Wie sie mein eigener Sohn zum erstenmal aussprach. Vater unser im Himmel. Und hinter diesem Punkt rückt die Spitze selbst vor, das heißt das ganze Gebet. Wie es jenes erste Mal gesprochen ward. Und dahinter breitet sich, bis es verschwindet und sich verliert;
Das Kielwasser der unzähligen Gebete;
Mit den Worten, wie sie gesprochen wurden an den unzähligen Tagen;
Von den unzähligen Menschen (Von den einfachen Menschen, seinen Brüdern). Morgengebete, Abendgebete (Gebete gesprochen zu allen anderen Zeiten);
Zu so vielen Malen an den unzähligen Tagen; Mittagsgebete, Gebete des ganzen Tages; Gebete der Mönche für alle Stunden des Tages;
Und für die Stunden der Nacht; Gebete der Laien und Gebete der Priester;
Wie sie gesprochen wurden zu unzähligen Malen an den unzähligen Tagen. (Er sprach wie sie, er sprach mit ihnen, er sprach als einer von ihnen.)

Diese ganze unermessliche Flotte von Gebeten, beladen mit den Sünden der Welt;
Diese ganze unermessliche Flotte von Gebeten und Bußen greift mich an ...
Und in dieser Flotte, in dieser unzähligen Flotte ist jedes Vaterunser gleichwie ein Schlachtschiff;
Das seinen eigenen Schiffsschnabel hat, Vater unser im Himmel;
Mir zugekehrt, so rückt es vor hinter dem eigenen Schiffsschnabel. Vater unser im Himmel, das ist keine Kunst. Allerdings, wenn ein Mensch dies gesagt hat, kann er sich dahinter verstecken. Wenn er diese drei oder vier Worte gesprochen hat. Und hinter diesen schönen Schlachtschiffen rücken die Ave Maria vor;
Wie harmlose Galeeren, wie jungfräuliche Zweiruderer. Wie niedrige Schiffe, die nicht die Demut des Meeres verletzen. Die durchaus nicht die Ordnung verletzen und folgen, demütig, treu und ergeben, flach überm Wasser.

Vater unser im Himmel. Allerdings, wenn ein Mensch einmal so angefangen hat. Wenn er mir diese drei oder vier Worte gesagt hat. Wenn er diese drei oder vier Worte erst einmal vor sich herziehen ließ.
Hernach kann er fortfahren, kann mir sagen, was er will. Ihr versteht: dann bin ich entwaffnet. Und mein Sohn wusste das wohl. Der diese Menschen so lieb hat. Der Gefallen an ihnen fand, und an der Erde und an allem, was daraus folgt. Und in dieser unzähligen Flotte unterscheide ich deutlich drei große unzählige Flotten. (Ich bin Gott, ich sehe klar.) Und das ist's, was ich sehe in diesem unermesslichen Kielwasser, das mit seiner Spitze beginnt und sich allmählich mehr und mehr aus meinen Augen verliert. Sie sind alle hintereinander, selbst jene, die aus der Kielspur herausragen;
Weil sie nach meiner Linken und meiner Rechten sich wenden. Voran fährt die unzählige Flotte der Vater unser;
Die die Flut meines Zornes durchfurcht und ihr Trotz bietet. Mächtig gegründet auf den drei Rängen der Ruder. (So stürmen sie gegen mich an. Ich frage euch. Ist das gerecht?)
(Nein, es ist nicht gerecht, denn all das gehört zum Reiche meiner Barmherzigkeit. )

Und all diese Sünder und all diese Heiligen ziehen gemeinsam hinter meinem Sohne;
Und hinter den gefalteten Händen meines Sohnes. Und sie selber haben die Hände gefaltet, als wären sie mein Sohn. Vielmehr meine Söhne. Vielmehr, als wäre jeder ein Sohn wie mein Sohn. Voran zieht die wuchtige Flotte der Vater unser, und das ist eine zahllose Flotte. In diesem Verbande stürmen sie gegen mich an. Ich denke, ihr habt mich verstanden. ...

Wie soll ich mich denn verteidigen ? Mein Sohn hat ihnen alles gesagt. Und nicht nur das. Er hat sich einstens an ihre Spitze gestellt. Und sie sind wie eine große antike Flotte, wie eine zahllose Flotte, die den Großkönig angriffe. Hinter dem Punkt, hinter dem äußersten Punkt dieser äußersten Spitze rückt diese äußerste Spitze vor, und dahinter, und dicht gepresst wie ein Bündel, das ich nicht brechen kann, naht diese Spitze selber, und sogleich dahinter kommen sie dreist heran, diese schweren antiken Dreiruderer, und sie durchfurchen, gedrängter als die mazedonische Phalanx, durchfurchen verwegen die Flut meines Zorns, und des Zorns meiner Gerechtigkeit.
(Und der Gerechtigkeit meines Zorns. ...Wenn es nur die Gerechtigkeit gäbe, wer würde gerettet. Doch wenn es die Barmherzigkeit gibt, wer wird dann zugrund gehn. Wenn es die Barmherzigkeit gibt, wer kann sich dann rühmen, dass er verloren geht. Sich zu retten ist dem Menschen unmöglich; doch Gott ist kein Ding unmöglich.) 

Dieses Vaterunser , spricht Gott, ist der Vater aller Gebete. Es gleicht dem, der voranzieht. Es ist ein kräftiger Mann, und das Gebet: Gegrüßet seist du, Maria, gleicht einer einfachen Frau. Und die anderen Gebete gehen hintendrein so wie Kinder. Und das Vaterunser und das Gegrüßet seist du, Maria, sind wie Mann und Frau. Die hintereinander gehen und die Menge zerteilen, die sich zur Prozession einfand. Der Mann geht voran und zerteilt die flutende Menge;
Die Flut meines Zorns;
Und die Frau folgt in der Kielspur dahinter. Und der Mann trägt Huckepack auf seinen Schultern jenes seltsame Kind Hoffnung. Und das Vaterunser ist König, und das Gegrüßet seist du, Maria, ist die Königin, und die Hoffnung ist die Prinzessin. Und es ist wie ein Kartenspiel, und das Vaterunser ist König;
Und das Gegrüßet seist du, Maria, ist Königin, und alle anderen sind die getreuen Buben.

Ich habe oft mit dem Menschen gespielt, spricht Gott. Aber was für ein Spiel war das, mir bangt noch heute davon. Ich habe oft mit dem Menschen gespielt, aber, bei Gott, es geschah, um ihn zu retten, und ich habe gebangt, dass ich ihn nicht erretten konnte;
Dass es mir nicht gelang, ihn zu retten. Das heißt, ich habe genug gebangt vor Furcht, dass ich ihn nicht erretten könnte;
Und mich gefragt, ob es mir wohl gelingen würde, ihn zu erretten. Ich habe oft mit dem Menschen gespielt, und ich kenne die List meiner Gnade, und ich weiß, wie sehr und wieso sie sich windet und spielt. Durchtriebener ist sie als eine Frau. Doch sie spielt mit dem Menschen und wendet ihn und wendet zugleich das Geschehen, und sie tut's, um den Menschen zu retten und ihn vor der Sünde zu schützen.

Ich spiele oft gegen den Menschen, spricht Gott, doch er ist's, der verlieren will, der Dummkopf; ich aber will, dass er gewinnt. Und zuweilen gelingt es mir;
Dass er gewinnt.
Hier kann man wirklich sagen: hier wird Ramsch gespielt, wer verliert, hat gewonnen. Jedenfalls gilt das für ihn, denn wenn ich verliere, hab' ich verloren. Er aber hat nur gewonnen, wenn er verliert. Seltsames Spiel, ich bin sein Partner und Gegenspieler
Und er will gewinnen gegen mich, das heißt: verlieren. Und ich, sein Gegner, will ihn gewinnen lassen.
Und das Reich der Vaterunser ist das eigentliche Reich der Hoffnung.

(Aus: Gisbert Greshake/Josef Weismayer (Hg.) "Quellen des geistlichen Lebens – Band III: Die Neuzeit", Matthias-Grünewald-Verlag)

 

Letztes Update dieser Seite am  16.09.2002 um 14:39 

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