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"Das Streitgespräch beim Tempelweihfest" Charles Péguy "Das Geheimnis des Gerichts Treffpunkt Ökumene: Aber, jenseits aller theologischer Überlegungen, stellen sich immer mehr Gläubige die Frage: haben nicht alle, die Sünden, Fehler und Irrtümer bereuen, eine zweite Chance verdient? Unabhängig davon, welcher Kirche sie angehören. Wie passt es mit der Rede vom barmherzigen Gott zusammen, wenn Wiederverheiratete von den Sakramenten ausgeschlossen sind? Unter dem Titel "Eine zweite Chance für die Ehe" zeigt der Treffpunkt Ökumene wie verschiedene Kirchen mit dem Thema Scheidung und Wiederverheiratung umgehen. Gestaltung: Brigitte Krautgartner
"Nirgends hin verloren gehen" - eine aufgeschnappte Gedichtzeile, die mich seit langem begleitet. In den eben gehörten Versen begegnet sie mir wieder als tröstliche und mich tief berührende Verheißung der Liebe Gottes. Die Leseordnung der Sonntagsevangelien heute und in den nächsten Wochen bis Pfingsten stellt uns zentrale Stellen aus dem Johannesevangelium vor, und die kreisen alle um diese Liebe und um das besondere Ineinander von Jesus und seinem Vater, um die Einheit von Gott und Jesus Christus im heiligen Geist. Die Osterbotschaft der Auferstehung wird so zu ihrem Ursprung zurückgeführt: zum dreieinigen Gott. Die Verse, die wir heute gehört haben, stammen aus einem Streitgespräch zwischen Jesus und anderen Juden, das Johannes beim Tempelweihfest in Jerusalem ansiedelt. Die anderen Juden hatten Jesus gedrängt: "Wenn du der Messias bist, wie du das behauptest, denn erweise es endlich, zeig dich als solcher!" Jesus sagt: "Aber das tue ich doch" und verweist sie auf sein Wirken, auf das, was die erleben, sehen und erkennen, die in seiner Nähe sind und seine Wege mitgehen. Und er sagt zu den anderen: "Ihr versteht das wohl deswegen nicht, weil ihr zu weit weg von mir seid. - Meine Schafe aber hören auf meine Stimme. Und ich führe sie ins ewige Leben, keines geht verloren. Denn: in mir und durch mich wirkt der Vater, wirkt Gott, denn wir sind eins." Bevor wir uns diese Sätze genauer ansehen können, ist wohl ein Wort zu den Schafen zu sagen. Vielleicht stolpert so mancher beim Zuhören darüber. Für viele ist es zurecht anstößig, mit einem Schaf verglichen zu werden. Schafe gelten als dumm und unmündig. Und es ist unbedingt richtig, sich dagegen zu wehren, in der Kirche als Dummerl behandelt zu werden, das seinen Weg nicht selber findet. Ich möchte es klar sagen: Wer die Rede von Hirt und Herde dazu verwendet, unkontrolliert andere zu beeinflussen und zu befehligen, kann sich dabei nicht rechtens auf die Evangelien berufen! Wenn die Evangelisten dieses Bild aufgreifen, geht es ihnen um etwas anderes. Für sie waren Schafe und Hirten ein ganz alltägliches Bild. Sie wussten, wie viel Respekt vor seinen Tieren ein Hirte braucht, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie wussten, dass die Schafe nur den akzeptieren, der sich als vertrauenswürdig erwiesen hat. Sie wussten, dass es die Aufmerksamkeit und den Mut des Hirten braucht, um die Herde gegen Räuber und wilde Tiere zu verteidigen. Sie wussten auch, dass die Herde dem Hirten nicht gehört, sondern dass gleichsam beide, Hirt und Herde, im Dienste des Besitzers stehen und so etwas wie eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden. Im Bild des Hirten und der Schafe geht es - entgegen unserer heute leider allzu oft berechtigten Verdachtsmomente - um Vertrauen und Aufeinander-angewiesen-Sein, nicht um Kontrolle! Klar sagt das auch die Rede vom guten Hirten, die im Johannesevangelium unmittelbar vor der heutigen Stelle steht. Kehren wir nun zu diesem Text zurück. Sein Thema ist eigentlich gar nicht die Rede vom guten Hirten, an die es zwar anknüpft, sondern eher das Zueinander von Christus und den Seinen und dem Vater. Gefragt, ob er der Messias ist, spricht Jesus von dem, was er den Seinen vermittelt aus seiner Einheit mit Gott heraus, nämlich: ewiges Leben, nicht verloren gehen, nicht entrissen werden. In Gottes Hand sind wir alle geborgen. Gott lässt uns nicht fallen und niemand kann uns der Hand Gottes entreißen. Das scheint mir die Botschaft zu sein, die Johannes uns zu sagen versucht: Jesus und der Vater sind eins - und wir sind eingeladen in diese Einheit, Innigkeit und Geborgenheit. Der Weg dazu, den uns Johannes vorstellt, ist der: sich in die Nähe Jesu zu begeben und seinen Weg mitzugehen.
Charles Péguy "Das Geheimnis des Gerichts" Vater unser im Himmel, mein Sohn wusste recht gut, wie er's anstellen musste um zu binden die Arme meiner Gerechtigkeit und zu lösen die Arme meiner Barmherzigkeit. (Ich rede nicht von meinem Zorn, der nie etwas anderes war als meine Gerechtigkeit. Und als meine Liebe, zuweilen.) Und jetzt muss ich als Vater sie richten. Soweit man überhaupt richten kann, als Vater. Ein Mann hatte zwei Söhne. Soweit man dazu noch fähig ist. Ein Mann hatte zwei Söhne. Man weiß, wie das zugeht, wenn ein Vater Gericht hält. Es gibt ein bekanntes Beispiel. Man weiß, wie das zuging, als der Vater Gericht hielt über den Sohn, der in die Fremde gegangen war und der heimkam. Der Vater hat dabei noch am meisten geheult. Das war's, was mein Sohn ihnen erzählt hat. Das eigentliche Geheimnis
des Gerichtes hat mein Sohn ihnen anvertraut. Und so kommen sie mir jetzt
vor; so seh' ich sie jetzt; So breitet sich auch die unendliche Kielspur der Sünder, bis sie verschwindet und sich verliert; Doch beginnt sie mit einer Spitze, und diese Spitze kommt auf mich zu; Sie ist auf mich gerichtet. Sie beginnt mit einer Spitze, welche die Spitze des Schiffes selber ist. Und das Schiff ist mein eigener Sohn, der alle Sünden der Welt trägt; Und die Spitze des Schiffes sind die beiden gefalteten Hände meines Sohnes. Und vor dem Blick meines Zorns, vor dem Blick meiner Gerechtigkeit halten sich alle verborgen hinter ihm. Und dieser ganze unendliche Zug der Gebete, diese ganze unendliche Kielspur breitet sich aus, bis sie verschwindet und sich verliert. Doch beginnt sie mit einer Spitze, und diese Spitze ist zu mir gewandt. Sie rückt auf mich zu. Und diese Spitze sind jene drei oder vier Worte: Vater unser im Himmel; mein Sohn wusste wahrhaftig genau, was er tat. Und jedes Gebet steigt zu mir auf, verborgen hinter diesen drei oder vier Worten. Und es gibt eine Spitze der Spitzen. Die ist eben dieses Gebet, nicht nur in seinen Worten. Sondern in seiner Erfindung. Vater unser im Himmel, das hat er ersonnen. Er war mit ihnen, er war wie
sie, er war einer von ihnen. Vater UNSER. Wie ein Mann, der einen großen
Mantel um seine Schultern wirft. Mir zugekehrt hatte er ihn sich umgetan. Er
hatte sich um die Schultern geworfen den Mantel der Sünden der Welt. Diese ganze unermessliche Flotte von Gebeten, beladen mit den Sünden der
Welt; Vater unser im Himmel. Allerdings, wenn ein Mensch einmal so angefangen
hat. Wenn er mir diese drei oder vier Worte gesagt hat. Wenn er diese drei
oder vier Worte erst einmal vor sich herziehen ließ. Und all diese Sünder und all diese Heiligen ziehen gemeinsam hinter
meinem Sohne; Wie soll ich mich denn verteidigen ? Mein Sohn hat ihnen alles gesagt.
Und nicht nur das. Er hat sich einstens an ihre Spitze gestellt. Und sie
sind wie eine große antike Flotte, wie eine zahllose Flotte, die den
Großkönig angriffe. Hinter dem Punkt, hinter dem äußersten Punkt dieser
äußersten Spitze rückt diese äußerste Spitze vor, und dahinter, und
dicht gepresst wie ein Bündel, das ich nicht brechen kann, naht diese
Spitze selber, und sogleich dahinter kommen sie dreist heran, diese schweren
antiken Dreiruderer, und sie durchfurchen, gedrängter als die mazedonische
Phalanx, durchfurchen verwegen die Flut meines Zorns, und des Zorns meiner
Gerechtigkeit. Dieses Vaterunser , spricht Gott, ist der Vater aller Gebete. Es gleicht
dem, der voranzieht. Es ist ein kräftiger Mann, und das Gebet: Gegrüßet
seist du, Maria, gleicht einer einfachen Frau. Und die anderen Gebete gehen
hintendrein so wie Kinder. Und das Vaterunser und das Gegrüßet seist du,
Maria, sind wie Mann und Frau. Die hintereinander gehen und die Menge
zerteilen, die sich zur Prozession einfand. Der Mann geht voran und zerteilt
die flutende Menge; Ich habe oft mit dem Menschen gespielt, spricht Gott. Aber was für ein
Spiel war das, mir bangt noch heute davon. Ich habe oft mit dem Menschen
gespielt, aber, bei Gott, es geschah, um ihn zu retten, und ich habe
gebangt, dass ich ihn nicht erretten konnte; Ich spiele oft gegen den Menschen, spricht Gott, doch er ist's, der
verlieren will, der Dummkopf; ich aber will, dass er gewinnt. Und zuweilen
gelingt es mir; (Aus: Gisbert Greshake/Josef Weismayer (Hg.) "Quellen des geistlichen Lebens – Band III: Die Neuzeit", Matthias-Grünewald-Verlag)
Letztes Update dieser Seite am 16.09.2002 um 14:39
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