Erfüllte Zeit
Sonntag 8. 7. 2001 
7.05 Uhr - 8.00 Uhr
,  Radio Österreich 1

 

"Die Aussendung der 72 Jünger" 
(Lukas 10, 1 – 12. 17 – 29)

kommentiert von Prof. Gerhard Bodendorfer

 

Ernesto Cardenal "Gott ist in uns"

 

"Lob des Müßiggangs" – 
Die Weltreligionen und die Untätigkeit

"Sich regen bringt Segen!" lautet eine alte Weisheit, - doch die ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn wenn man die Weisheitstraditionen der Weltreligionen betrachtete, so fällt auf, dass hektische Betriebsamkeit niemals das Mittel der Wahl ist, um Gott näher zu kommen. Es geht darum, still zu werden und aufnahmebereit für das Geheimnis "Gott".

Die "Erfüllte Zeit" geht dem "Wert der Untätigkeit" nach, wie er in den verschiedenen Religionen empfohlen wird.

Gestaltung: Martin Gross

 

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Prof. Gerhard Bodendorfer kommentiert das Sonntagsevangelium

Bereits im letzten Teil des 9. Kapitels hat Lukas das Motiv des Gottesreichs und seiner Verkündigung anklingen lassen. Die Jünger sind in den Dörfern der Samaritaner mit ihrer Botschaft gescheitert. Jetzt sollen sie erneut aufbrechen. 72 sind es, entsprechend der Anzahl der bereits in der Bibel definierten Anzahl der Völker der Welt. Auch wenn die Jünger nur in die umliegenden Dörfer gehen, symbolisieren sie die Verbreitung der Botschaft über die Erde. Sie gehen zu zweit, wie es die jüdische Tradition verlangt, aber sie erhalten von Jesus verschärfte Reisebedingungen. Da sie praktisch ungeschützt und ohne Verpflegung wandern, sind sie auf die Gastfreundschaft angewiesen. An der gastfreundlichen Aufnahme der Jünger hängt das Schicksal der Städte. Werden sie aufgenommen, pflegen sie dort die Kranken und reden vom nahen Gottesreich als Segen. Werden sie aber abgelehnt, distanzieren sie sich aufs Schärfste von der Stadt und drohen ihr ein Unheil an, das dem von Sodom und Gomora entspricht. Das göttliche Gericht wird über die Städte erbarmungslos herfallen, die sich nicht den Jüngern zuwenden. Die Abweisung der Jünger ist für Jesus gleichbedeutend mit der Abweisung seiner Person und mit der Abweisung Gottes selbst. Wer aber in dem Text jetzt einen fanatischen Missionierungsauftrag vermutet und darin eine Legitimierung für die christliche Missionspraxis entdeckt, hat zumindest nur zum Teil Recht. Wer genau hinsieht, merkt, dass es dem Text um etwas anderes geht. Die Ablehnung der Menschen, die Zurückweisung der bedürftigen und armen Jünger bedingt das negative Schicksal der Städte. In der jüdischen Tradition wurde Sodom vernichtet, weil es den Armen kein Asyl gab. Dies klingt auch hier nach.

Die gastliche Aufnahme der Bedürftigen ist der erste Schritt zur Bereitschaft zum Hören auf deren Botschaft.

Den Menschen, die Jesus ausschickt, um das Reich Gottes zu verkündigen, wird gesagt, sie können sich voll und ganz von Gott beschützt und geborgen fühlen. Sie erhalten von ihm die Macht über das Böse, über die Bedrohung, ja, sie sind von Gott ermächtigt, selbst den Inbegriff des Bösen, Satan, zu besiegen. Der Erfolg der Jünger zeigt sich nicht in der gelungenen Mission der christlichen Botschaft, sondern im erfolgreichen Exorzismus. Modern formuliert: Die Botschaft des Textes sagt, dass der Mensch, der hinausgeht, um in einer keineswegs immer freundlichen Umwelt seine Überzeugung von Gott und seinen Glauben zu verkünden, sich gegen alle Bedrohungen geschützt wissen soll. Wo er aufgenommen wird, soll er segensreich wirken und durch dieses Tun das Böse in der Welt letztlich besiegen. Jesus hat an anderer Stelle gesagt, dass die Macht über das Böse ein Zeichen des anbrechenden Gottesreiches ist. Und er hat in der Bergpredigt bzw. der Feldrede des Lukas deutlich gemacht, wer an ihm teilhaben wird, nämlich die Armen und Bedürftigen. Und er hat auch klar gemacht, welches Verhalten das Gottesreich verlangt. Die hier ausgesprochene Missionierung hat nichts mit einer Praxis der Zwangsbeglückung zu tun, sondern mit der Botschaft von diesem Gottesreich, das Jesus verkündet. Das Gottesreich wird allen angesagt, den Gastfreundlichen und denen, die die Tür verschließen, aber den einen wird es zum Segen, den anderen zum Fluch.

 

Ernesto Cardenal
Gott ist in uns

Der Grund, dass wir Menschen die Gegenwart Gottes nicht deutlicher an uns erfahren, ist der, dass wir allzu sehr daran gewöhnt sind, alle Wahrnehmungen von außen her zu erwarten, und dabei kommen sie doch von innen. Wir sind so nach außen hin gewendet und achten nur auf die äußeren Eindrücke, dass wir die Berührungen und Stimmen in unserem Innern gar nicht mehr wahrnehmen. Wir stellen uns vor, dass Gott, wenn Er mit uns spräche, eine stoffliche Stimme haben müsse, die von außen her, durch die Ohren in uns einginge. Und wenn wir doch einmal diese Gegenwart Gottes irgendwie in uns spüren sollten, denken wir, diese Gegenwart wären wir selbst, und erkennen Gott nicht in uns. Wir merken nicht, dass wir tief im Mittelpunkt unseres Seins nicht wir selbst, sondern ein Anderer sind. Jeder einzelne von uns ist ontologisch eine Zweiheit. Wenn wir uns selbst finden, uns auf uns selbst konzentrieren, dann tun wir nichts anderes als uns in die Arme Gottes zu werfen.

Das Gebet ist etwas so Natürliches für den Menschen wie die Sprache, das Atmen oder das Schlagen eines verliebten Herzens. Es ist auch in Wirklichkeit nichts anderes als eine Klage, ein Seufzen, ein Blick oder ein Herzschlag. Das Gebet ist nichts anderes als ein Kontaktaufnehmen mit Gott. Es ist eine Verbindung mit Gott, die keine Worte und nicht einmal Gedanken braucht. Man kann sich mit einem Blick mitteilen oder mit einem Lächeln, mit Seufzern oder mit Taten. Tatsächlich ist jede Bewegung unseres Körpers ein Gebet. Unser Körper spricht ein tiefes Dankgebet, wenn er seinen Durst mit einem Glas Wasser stillt. Wenn wir uns an heißen Sommertagen in die Fluten eines kühlen Flusses stürzen, singt unsere Haut eine Dankeshymne an ihren Schöpfer, auch wenn dies ein irrationales Gebet ist, das ohne unsere ausdrückliche Zustimmung oder sogar gegen unseren Willen geschieht. Wir können aber willentlich aus allen unseren Taten ein Gebet machen.

Aus: Wolfgang Brinkel (Hg.) "Dem Leben auf der Spur", Gütersloher Verlagshaus

 

Letztes Update dieser Seite am  14.10.2002 um 11:33 

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